Das Nachtlager wurde am Morgen zügig abgebaut und auf die Tiere geladen. Ausgeruht konnten sie ihre Reise zur Pyramide wieder aufnehmen. Die Prinzessin der blauen Sande versicherte Tapo im Traum, dass er auf dem richtigen Weg war, was sein Vertrauen in die Mission festigte. Mit seinen Kameraden sprach er abends am Feuer bei einem Becher heißen Tees über seine Gedanken. Yalima und die beiden Männer bestätigten dabei ihr Versprechen, dem Nelay beizustehen, was auch immer geschehen mochte.
Der Mond nahm wieder ab, je weiter ihre Reise sie brachte und nach weiteren fünf Tagen hatten sie das Bergland endlich hinter sich lassen können. Über eine fruchtbare Ebene, durchzogen von gleichmäßig angelegten Wassergräben, ritten sie gemächlich auf den geraden Feldwegen dahin. An einem breiten, schlammigen Fluss, von dem die Kanäle abzweigten, lag eine Stadt, die sie besuchten, um den Proviant erneut aufzufüllen. Die geräumigen Häuser waren aus gelben Ziegeln gemauert, die befestigten Straßen und Plätze wiesen Muster in braunen und roten Farbtönen auf. Mitten am Tag herrschte wenig Verkehr in der Siedlung, denn die meisten Menschen arbeiteten auf den Feldern, die die berittene Gruppe hinter sich gelassen hatte.
„Die Kommune Kapan. Sie haben keinen Anführer, aber eine starke Gemeinschaft. Menschen aus allen Himmelsrichtungen haben sich hier zusammengefunden, um eine friedliche Gesellschaft aufzubauen.“, berichtete Farai, der offensichtlich schon einmal hier gewesen war. Die Hufe der Reittiere klapperten schallend über das bunte Steinpflaster der schmalen Straße, die an einem rechteckigen Platz endete, der von Wassertrögen und Springbrunnen gesäumt war. Tapo und die Nomaden stiegen ab und ließen die Pferde und Kamele trinken. Ganeg betrat ein Haus an der Südseite des Platzes, Yalima und Farai legten zwei Teppiche aus und ließen sich nieder. Immer wieder war Tapo davon beeindruckt, wie unterschiedlich Menschen leben konnten. Vor seiner Reise hatte er nie darüber nachgedacht, denn das kleine Dorf, in dem er aufgewachsen war, bedeutete für ihn bis dahin die Welt. Seine Freiheit war das Meer gewesen. Nun wusste er, dass es so viel mehr zu entdecken gab und beobachtete alles Neue so genau, wie es ihm möglich war, ohne sein Ziel aus den Augen zu verlieren.
Ganeg kam aus dem auf den Platz gelaufen, hinter ihm ging eine ältere Frau, die ein langes fliederfarbenes Kleid trug, auf dem Kopf hatte sie ein feines Tuch, dessen Enden auf ihren Schultern ruhten. Ein wenig Ähnlichkeit glaubte Tapo mit Yaya von der Insel im Nebel in ihr zu erkennen. Er war überrascht, als sie begann in seiner Sprache zu reden. „Du bis der Gesandte der Prinzessin? Zeig dein Gesicht.“, forderte sie den Fischer ruppig auf, der ihrer Anweisung sogleich Folge leistete und den Schleier des Agesh löste. Mit einem versöhnlicheren Ton fuhr sie fort: „Gut, du bist es. Dein Kommen wurde angekündigt. Setzen wir uns und reden.“ Etwas verwirrt nickte Tapo, dann ging die Frau zu dem Gebäude zurück, das sie eben erst verlassen hatte. Tapo folgte ihr, nachdem er seinen Turban abgenommen hatte. Einfache hölzerne Möbel und eine gemauerte Arbeitsfläche beherrschten den Raum, in einem Ofen brannte ein flackerndes Feuer. An den Wänden hingen vollgestellte Regale und getrocknete Pflanzen. Die Frau deutete Tapo, sich auf die Bank zu setzen, sie nahm einen dampfenden Wasserkessel vom Herd und brühte damit einen wohlriechenden Kräutersud auf, dann nahm sie ihm gegenüber Platz und stellte die Kanne und zwei Tonbecher auf dem Tisch ab.
„Ich gehöre zu den Ältesten von Kapan. Nachdem mein Volk aus der Heimat vertrieben wurde, siedelten wir uns hier an. Nur wenige Menschen hatten die Feuer überlebt, die uns zwangen die blauen Sande zu verlassen. Unsere neue Stadt sollte eine Zuflucht für alle werden, die in Not geraten waren. So entwickelte sich unsere Kommune, in der wir seitdem friedlich, ohne Herrscher und Zwang, leben. Meine Schwester Yaya führte damals eine andere Gruppe von Flüchtlingen an. Sie zogen nach Westen, dem Meer entgegen. Unsere Verbindung ist so stark, dass wir uns im Traum besuchen können, während wir schlafen. Sie berichtete mir von dir, Tapo. Mein Name ist Puna und ich bin froh, dass du nun hier bist.“, eröffnete die Frau dem jungen Fischer, dem die Überraschung im Gesicht abzulesen war.
Nach einem längeren Moment des Nachdenkens formten sich in Tapos Kopf Fragen. Er fühlte sich unbehaglich, ausgenutzt und verstand nicht wirklich, was vor sich ging.
„Was hat es mit den Erdgeistern auf sich? Warum ist die Prinzessin so wichtig? Was habt ihr und Yaya mit all dem zu tun?“, sprudelte es aus ihm heraus. Puna atmete schwer ein und langsam wieder aus, ehe sie antwortete. „Die Erdgeister sind Verbündete gegen das Feuer, das einst die Macht über die blauen Sande beanspruchte. Yaya und ich waren damals die Hohepriesterinnen der Prinzessin. Sie ist die Göttin des Wassers, so wie Tayemma die Göttin des Lebens ist. Der Herr des Feuers war gierig geworden, überfiel unser Land und nahm die Prinzessin gefangen. Der große Windgeist schloss sich dem Tyrannen an. Der Erdriese zog sich zurück, doch seine Untergebenen blieben loyal und unterstützten uns im Geheimen. Wir Schwestern können die Zeichen der Erdgeister deuten, aber nicht direkt mit ihnen in Kontakt treten. Sie fanden heraus, wo der Herr des Feuers unsere Prinzessin gefangen hält und teilten ihr Wissen mit dir, als du auf der Nebelinsel warst. Der Windgeist, dessen Kraft einem Zyklus unterworfen ist, hält dort meine Schwester und ihre Sippe gefangen. Nur die Prinzessin der blauen Sande kann sie befreien, deshalb musst du sie zuvor finden. Unsere Welt wird sich wieder beruhigen, sobald die fünf Elemente wieder im Gleichgewicht sind.“, erklärte Puna geduldig die Situation.
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