Vor Erschöpfung hatte Tapo geschlafen wie ein Stein. In Gedanken bedankte er sich bei der Prinzessin und den Wassergeistern für ihre Hilfe, als er wieder erwachte. Hakims verdorrter Körper lag reglos auf dem Hof, die Spuren des Feuers zogen sich wie eine Schneise der Zerstörung durch den vorderen Teil des Gebäudes. Es roch verbrannt.
Tapo blickte blinzelnd in die Morgensonne, als er auf die Straße vor dem Anwesen trat. Er zögerte und ging zurück zu den Ställen, um eine Schaufel zu holen. Am Rande der Siedlung begann er eine Grube auszuheben, denn Hakim sollte ein Begräbnis bekommen.
Die Sonne stand hoch am Himmel, als der junge Fischer die tote Stadt verließ und sich zu den Bergen im Süden aufmachte. Je weiter er kam, umso mickriger wurden die Pflanzen, nur welkes Gras wiegte sich im trockenen Wind. Das Gelände lenkte den schmalen Pfad ostwärts. Durch die roten Felsformationen pfiff es gespenstisch. Tapo beeilte sich, das Gebiet hinter sich zu lassen, denn ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, die Nacht dort zu verbringen. Kein größeres Tier kreuzte weder seinen Weg, noch seinen Blick, nur eine sandfarbene Schlange zischte ihn einmal an und verschwand schnell im spärlichen Gras.
Der Wind nahm zu, der rote Staub des Sandsteins kroch in seine Augen und in den Mund, dass er ausspucken musste. Das Atmen viel ihm schwerer, der Hals wurde ihm trocken und die Kalebasse war bald leer getrunken. Allmählich schwanden Tapos Kräfte, aber er kämpfte sich weiter durch die unwirtliche Gegend, bis sich vor ihm eine große weitläufige Ebene ausbreitete, nachdem er sich zwischen zwei eng beieinanderstehenden Felsen durchgezwängt hatte.
Das Gras der Savanne stand höher als im Bergland, das hinter ihm lag, vereinzelt ragten knorrige Bäume empor, an deren Kronen Tiere fraßen, die er so noch nie gesehen hatte. Sie hatten Ähnlichkeit mit den Antilopen, die er am Fluss gesehen hatte, doch sie wirkten größer und ihre Fellzeichnung sah anders aus. In der Nähe musste es Wasser geben. Seine schmerzenden Beine trugen den erschöpften Mann in die Abenddämmerung, bis seine Kräfte ihn verließen und er vor Müdigkeit stolperte. Er konnte sich nicht noch einmal aufraffen und schlief einfach ein.
Wirre Träume von Feuer und Sand suchten Tapo in dieser Nacht heim, das Atmen fiel ihm schwer, bis die Prinzessin der blauen Sande die dunklen Gedanken mit ihrer weichen Stimme vertrieb. „Ich schicke Hilfe. Du darfst nicht sterben.“, versprach sie und sah ihn an, bis er unsanft von ihr weggerissen wurde.
Jemand hatte ihm Wasser über das Gesicht geschüttet und klopfte auf seine Schulter. Benommen reagierte Tapo auf die Weckversuche des in viele Tücher gekleideten Menschen und griff nach dessen Hand. Eine weitere Person, die ebenso gekleidet war, half dabei, Tapo auf ein Reittier zu heben. Dann ritten sie mit dem Fischer gemeinsam durch die Savanne.
Immer wieder verlor Tapo für einige Zeit das Bewusstsein, ehe er in einem Zelt erwachte, wo sich eine Frau um ihn kümmerte. Sie kühlte seine Stirn mit nassen Tüchern. Als sie bemerkte, dass er die Augen öffnete, reichte sie ihm ein Trinkgefäß. Das Schlucken fiel Tapo schwer und er musste husten, dennoch war das Wasser eine Wohltat für ihn.
„Willkommen in der Oase Darfa, Wanderer.“, sprach sie mit einem fremdartigen Akzent. Ihre Haut war um einige Nuancen heller, als es bei Tapos Volk üblich war und sie trug grüne Kleidung mit goldfarbenen Ornamenten aus einem Stoff, der gleichzeitig fein und fest war und in mehreren Lagen ihren Körper bedeckte. Tapo versuchte sich aufzusetzen, aber er war noch zu schwach, die Frau half ihm dabei. Obwohl er sich noch sehr schwach fühlte, suchte Tapo das Gespräch mit der Nomadin. Sie reichte ihm ein heißes Getränk, das ihm dabei helfen sollte, bald wieder auf die Beine zu kommen und erzählte ihm, wer sie und ihre Begleiter waren.
Das Volk der Wüstenreiter, die sich selbst Bahiq nannten und ihre eigene Sprache pflegten, lebte seit jeher in der nördlichen Wüste. Nur sie selbst kannten ihren Ursprung und die Bedeutung der farbigen Sande, die das Schicksal formten. Die Bahiq sahen sich als die Kinder des Lebens, was die grüne Farbe ihrer weiten Gewänder symbolisierte. Unterwegs in der Sandwüste hüllten sie sich in lindgrün eingefärbte Stoffbahnen, die den feinen Staub von ihren Körpern fernhielten, den der Wind ständig mit sich trug. Selbst gegen die stärksten Stürme waren sie gewappnet und sie waren dafür bekannt, jeder Seele zu helfen, die sich in den endlosen Weiten verirrt hatte. Oft begleiteten die Wüstenreiter Handelskarawanen, um diese vor Unheil zu bewahren. Für ihren Mut und ihre Fähigkeiten wurden sie in den Städten, die am Rande der Ödnis lagen, sehr bewundert und man schätzte sie sehr.
Gespannt hatte Tapo ihrer Geschichte gelauscht, doch seine Augen fielen ihm immer wieder vor Erschöpfung zu. Nachdem sie zum Ende gekommen war, begann sie mit ruhiger Stimme in ihrer Sprache zu singen.
„Vergessen im Wind,
Vergangen im Sand,
Behütet vom Wasser,
Vor der sengenden Hitze,
Vor der klirrenden Kälte.
Wir kamen und gingen,
Es verstrichen die Jahre.
Wir finden uns ein,
Wo alles begann.
Tief vergraben in unseren Herzen,
Verschluckt von den wandernden Dünen
Kehren wir heim in unserer Mutter Land.“
Der junge Fischer schlief bald ein, doch das Lied folgte ihm in seine Träume und er verstand mit einem Male die Worte und deren Bedeutung. Die Prinzessin erschien ihm, als der letzte Ton verklang. Neben dem Rund aus blauem Sand befand sich nun ein grüner Kreis, in dem hinter einem üppig belaubten Busch, dessen Form einer Sitzbank nahekam, eine Frau mittleren Alters stand. Die Kleidung und das Gesicht glichen der Bahiq, die ihm umsorgte aufs Haar.
"Du hast mein Volk gefunden. Ich bin Tayemma, die Mutter des Lebens. Die Prinzessin bat um Hilfe für dich, also schickte ich meine Kinder, dich zu finden. Sie werden dich durch die Wüste leiten und dir auf dem Weg beistehen." Beide Frauen lächelten den Reisenden an und verabschiedeten sich mit einer kleinen Verbeugung von ihm, die kaum mehr als ein Nicken war. Dabei hielten sie die Arme vor der Brust gekreuzt. Tapo fiel in einen schweren traumlosen Schlaf, der seinen geschundenen Körper heilte.
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