Auf seiner Holzbank zusammengesunken, gehüllt in den mittlerweile viel zu großen gelben Kaftan, bekam Tapo Mitleid mit dem einsamen Mann, der von seinen Ängsten beherrscht wurde. Mit einem Kloß im Hals durchsuchte der junge Fischer das Haus nach Essbarem. Spärliche Reste von Hirse und Reis kratzte er aus teils zerbrochenen Tongefäßen. Getrocknete Früchte fand er in einem geflochtenen Korb. Im überdachten Innenhof entdeckte Tapo den Ziehbrunnen, aus dem er mit Mühen Wasser holte, denn das Reservoir lag tief unten im Brunnenschacht.
In der Küche entfachte der junge Mann in der Kochstelle ein Feuer, wusch das Getreide und ließ es in zwei kleinen Bronzekesseln köcheln. Auch das staubige Trockenobst reinigte er und weichte es ein. Er bemühte sich, ein annehmbares Mahl zu kochen, das beide sättigen würde. Ab und zu sah er nach Hakim, der auf seinem Platz eingeschlafen war, aber unruhig wirkte. Das Sonnenlicht verschwand bereits, als Tapo das karge Mahl in zwei Keramikschalen in den Wohnraum brachte. Der süßliche Duft erfüllte den dämmrigen Raum und Hakim erwachte mit überraschtem Gesicht und schnüffelnder Nase. Auf seinen Lippen zeigte sich ein Lächeln, sein Blick blieb auf der Schüssel haften, die er wie ein göttliches Geschenk mit beiden Händen zitternd entgegennahm. „Woher hast du das Essen? Es war doch nichts mehr da.“, gab er stockend von sich. Tapo grinste nur und bedeutete dem Andere zu essen, dann verließ er nochmals den Raum, nur um mit einem Krug voller Wasser und zwei Bechern zurückzukehren.
„Ich habe mich umgesehen und in der Kammer noch Reste gefunden, die ich verwerten konnte. Noch wäre Nahrung für einige Wochen vorhanden, wenn man sie mit Bedacht nutzt.“, erklärte Tapo. Genussvoll, mit kleinen Bissen nahm Hakim die kleine Mahlzeit zu sich, worüber sich der junge Fischer sehr freute.
„Danke, junger Freund.“, sagte der Hausherr und stellte seine geleerte Schale auf dem Tischchen ab. Als auch Tapo sein Mahl beendet hatte, brachte er das Geschirr in die Küche, wo er es im Schein des Herdfeuers reinigte. Die Nacht war bereits hereingebrochen, ein Sichelmond stand über der ausgestorbenen Siedlung, dessen fahler Schein den Innenhof spärlich erhellte. Tapo zog noch einmal den Eimer aus dem Brunnen, um den Wasserkrug wieder aufzufüllen.
Mit dem großen Gefäß in seinen Händen ging er zu Hakim zurück, doch welcher Schrecken durchfuhr ihn, als er den Wohnraum betreten wollte!
Um seinen Gastgeber herum zogen rote Wolken ihre Bahn, Hakims Augen glühten in düsterem Rot. An seinem Antlitz spiegelten sich Hass und Bösartigkeit.
„Er hat uns gefüttert. Er hat uns erweckt. Er hat seinen Tod besiegelt.“, flüsterte es mehrstimmig aus dem Mund des dürren Mannes, während die Intensität der Glut um ihn herum bei jedem Wort zunahm. Der Krug glitt Tapo aus den Händen und zerschellte platschend und krachend auf dem gefliesten Boden. Vor dem Wasser zuckten die Wolken zurück, als hätten sie Angst vor dem Nass.
Der Fischer fasste sich ein Herz, griff seine Harpune, die er an die Wand gelehnt hatte, und trat dem Geist aus Feuer und Wind mit ernstem Gesicht gegenüber. Erneut zischten Worte, einem düsteren Chor gleich, aus Hakims Mund, heiß wie ein Wüstensturm. „Du wirst die Prinzessin nicht befreien, sie gehört uns! Die blauen Sande wirst du niemals finden!“ Aus den roten Wirbeln erwuchsen Zyklone, die das Feuer, das nun aus Augen und Mund des Stadtobersten züngelte, ziellos durch den Raum schleuderten. Die schmückenden Wandbehänge begannen zu brennen und fielen herunter. Tapo flüchtete auf den Hof, versuchte einen klaren Gedanken zu fassen , um heil der Gefahr zu entrinnen. „Nutze die Wellen!“, manifestierte sich eine bekannte zarte Stimme in seinen Gedanken. Der Glaube an die Prinzessin der blauen Sande stärkte Tapos Entschlossenheit.
Das feurige Inferno breitete sich nun über das gesamte Gebäude aus, drang in den Hof vor, züngelte an allem, was brennbar war. Tapo stand angriffsbereit vor dem Brunnen, die Harpune mit der Wurfschleuder in der rechten Hand, den Arm lang nach hinten gestreckt. Seine Konzentration richtete er auf den Kopf des entstellten Körpers, von dem der einst prächtige Kaftan in verkohlenden Fetzen abfiel. Das Feuermonster wurde größer, je mehr seine Flammen zu fressen bekamen. Die Hitze kroch näher und näher, die Zyklone rasten mit Feuerzungen auf Tapo zu, die ihm schmerzende Striemen in die Haut brannten. Der Wind schleuderte ihn in den Brunnen hinein, nur der Widerhaken seiner Waffe bewahrte ihn vor dem tiefen Fall. Ein Moment der Hilflosigkeit, ehe er sich besann und die feuchte Kühle der Umgebung seine Gedanken beruhigte.
Unter ihm plätscherte das Wasser leise, über ihm glühte es am Rand des Schachtes feurig. Langsam stieg Tapo hinab in das Wasser, die Harpune diente ihm dabei als Steighilfe. „Die Wellen soll ich nutzen.“, sprach er zu sich selbst und fragte sich: „Wie bekomme ich das Wasser nach oben, ohne Zeit zu verlieren?“
Das kühle Nass klatschte wie zur Antwort gegen die Oberschenkel, obwohl er nur zwei Hände tief im Wasser stand. Mit bläulichem Schimmer stieg eine Fontäne auf, die sich einer Spirale gleich aufwärts schraubte und einen Strudel erzeugte, der das Wasser aus dem Untergrund nach oben sog und in einer riesigen Blase sammelte, die sich ohne Vorwarnung mit einem Schwall plötzlich entleerte. Von draußen ertönte ein erstickter Schrei, das rötliche Flackern über der Brunnenöffnung erstarb und es wurde dunkel.
Mühsam kletterte Tapo den Schacht wieder hinauf und sah sich auf dem Hof um. Hakims ausgemergelter Körper lag leblos und nass im Sand des Hofes, die Flammen hatten die Einrichtung des Hauses in Asche verwandelt, die nun dunkelrot, vermischt mit dem Staub der Wirbelwinde, auf den Fußböden im Inneren des Gebäudes klebte. Nur die Ställe im hinteren Bereich des Innenhofes waren vom Wüten der Elemente verschont geblieben. Dort würde Tapo den Rest der Nacht verbringen, bevor er am Morgen weiterziehen würde.
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