03. Jenseits der Wasser

Ein Fluss durchschneidet den Urwald und stürzt in einem tosenden Wasserfall in die Tiefe. Erstellt mit Microsoft Designer.
Der Wasserfall. (KI-generiert)

 

Der Morgentau ließ sich auf dem Blätterdach des Urwalds nieder und rann und tröpfelte von Blatt zu Blatt abwärts, bis der erste große Wassertropfen platschend auf Tapos Stirn traf, was ihn unsanft aufschreckte. Auch wenn es erfrischend war, kam er nur schleppend zu klarem Verstand. Schlaftrunken nahm er die letzten Happen seiner Wegzehrung zu sich. Die Kalebasse, die er mit sich trug, hatte der junge Mann bereits vor der Nacht leer getrunken, nun plagte ihn der Durst, doch der Fluss war nicht weit und noch immer tropfte der Tau von den üppigen Blättern der Bäume und Stauden. Unterwegs füllte er sein Trinkgefäß auf. Er kam dem Wasserfall näher, den er am Vorabend ausgemacht hatte und vernahm bereits das Tosen des aufgewühlten Stromes. Vor ihm stand die Sonne im wolkenlosen Himmel, die ihrem Zenit entgegen strebte.

 

Der Fluss schnitt immer tiefer in die Felsen hinein, je näher er dem Tafelberg kam, von dem der Wasserlauf hinab stürzte. Das Tal kam wie eine Schneise vor, die den endlos scheinenden Wald teilte. Sein Weg wurde steiniger, mühsamer und führte Tapo auf das Plateau, wo der Fluss breit und gemächlich seinem Bett folgte, ehe er an Geschwindigkeit zunahm und in die Tiefe schoss. Am anderen Ufer erkannte er Gebäude, deren Bauart im vollkommen unbekannt war, aber die Ähnlichkeit mit den Holzhütten ließ keine andere Annahme zu. In der grünen Flussaue grasten Antilopen und Büffel. Mit Vorsicht näherte sich Tapo der seichten Stelle des Flusslaufes, wo die Tiere sich aufhielten, um den Strom zu überqueren. Sie nahmen zwar Notiz von dem Menschen, aber sahen wohl keine Gefahr in ihm, denn sie schauten ihm nur nach und nahmen nicht Reißaus. Halb watete, halb schwamm Tapo durch das hellbraune Wasser, bis er die andere Seite erreichte.

 

Die Gebäude wirkten verlassen, dennoch siegte die Neugier und Tapo erkundete die Siedlung. Er betrat eine karge Hütte aus gestampftem Lehm, in der er sich umsah. Roter Staub bedeckte den Boden. Eine gemauerte Feuerstelle mit kalter grauer Asche befand sich in der linken hinteren Ecke des quadratischen Raumes, darüber war ein Loch in der Decke, durch die der Rauch abziehen konnte. Ansonsten war die Hütte leer und mutete an, seit langer Zeit nicht bewohnt gewesen zu sein. In jedem der kleineren Gebäude des verlassenen Dorfes bot sich dem jungen Fischer dasselbe Bild. Diese Siedlung war anders als jene, die Tapo bisher kannte. Es gab keinen zentralen Platz, der ringförmig von den Häusern umschlossen wurde, sondern nur eine breite Straße, an deren Ende das größte Gebäude des Ortes zu finden war. Es überragte die anderen Bauten um mehr als das Doppelte und wies verwitterte blaue Muster im bröckelnden Verputz auf. Der Eingang war durch eine Holztür verschlossen, die zwar alt, aber immer noch robust wirkte. Auch die Fenster waren verbarrikadiert.

 

Mit dem stumpfen Ende seiner Harpune drückte Tapo gegen die Bretter, die den Eingang blockierten, aber sie gaben nicht nach. An den Fenstern zu klopfen oder zu rütteln brachte ebenso wenig. Plötzlich rief eine krächzende Stimme von oben: „Geh weg, hier gibt es nichts zu holen!“ Ein dürrer Mann in einem zerlumpten, schmutzigen Kaftan, dessen leuchtendes Gelb man nur noch erahnen konnte, stand auf dem flachen Dach und zeterte. „Alle sind weg oder tot. Der rote Wind hat uns alles genommen.“ Tapo ließ sich nicht beirren, ging einige Schritte zurück, um die Gestalt besser betrachten zu können. „Bitte lasst mich ein. Ich bin nur auf der Durchreise und suche Schutz für die Nacht. Den dritten Tag bin ich nun unterwegs, ohne ein Dach über dem Kopf.“, ersuchte er um Einlass. Der schmale Kerl verschwand aus Tapos Sichtfeld. Kurz darauf klapperte es an der Tür, die mit lautem Knarzen nach innen aufschlug. Der Fischer trat ein. Schnell schlug der Hausherr die Pforte wieder zu und sicherte sie mit einem schweren Riegel.

 

„Auf der Durchreise also. Wohin des Weges, junger Mann? Es scheint, als kommst du vom Meer. Im Inneren des Landes trifft man Leute wie dich nur sehr selten an. Auf deine Geschichte bin ich gespannt.“, redete der knochige Mann mit rauer Stimme auf seinen Gast ein. Tapo sah sich in dem Haus um, lenkte aber schnell den Blick auf den Hausherren und antwortete wahrheitsgemäß: „Ja, ich komme vom Meer und heiße Tapo. Ich suche nach der Prinzessin der blauen Sande. Ihr Volk ist gefangen und nur sie kann die Leute retten. Sie haben mich um Hilfe gebeten und ich habe mich auf die Reise gemacht. Ich folgte dem Fluss, was mich hierher brachte.“ Trotz der Flecken auf seinem Gewand wirkte der abgemagerte Mann erhaben auf Tapo, wie ein Häuptling oder dergleichen. Er nickte als der Junge seine Erklärung abgegeben hatte und nahm auf einer schmalen hölzernen Bank Platz, ehe er erneut das Wort ergriff. „Außer einem Schlafplatz kann ich dir nichts anbieten, meine Vorräte sind beinahe aufgebraucht. Ich kann von Glück reden, dass mein Haus einen eigenen Brunnen hat, damit ich nicht verdurste.“, beschrieb er seine eigene Situation.

 

Erneut sah Tapo sich in dem fremd wirkenden Haus um. Die beiden Fensteröffnungen waren mit Brettern, die ebenfalls von einem Riegel gehalten wurden, versperrt. Nur wenig Sonnenlicht fiel durch die Ritzen, eine brennende Öllampe erhellte den Hauptraum zusätzlich, in dem bunte gewebte Teppiche an den Wänden hingen. Das Dach konnte man über eine einfache Leiter erreichen. „Bevor der rote Wind meine Stadt heimgesucht hatte, war ich der Ortsvorsteher. Über Tage wehte und stürmte es von den Bergen im Westen her. Der Wind trug den roten Staub mit sich, der zuerst den schwachen Menschen das Atmen erschwerte, woran sie nach kurzer Zeit starben.“, berichtete der Gastgeber traurig. „Nenn mich Hakim. Seit dem Untergang der Stadt habe ich mein Amt verloren und warte nur noch auf meinen eigenen Tod, den ich versuche hinauszuzögern. Ich habe Angst vor dem Sterben.“ Bei diesen Worten rannen Tränen dünn aus den tief liegenden dunklen Augen des älteren Mannes.

 

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