Tapo dachte gar nicht mehr daran, dass er keinen einzigen Fisch aus dem Wasser geholt hatte, als er sich auf den Heimweg begab. Hinter ihm verdichtete sich wieder der Nebel um die Insel herum und die Dunkelheit der Nacht kroch über den Himmel. Als sein Boot an den Strand glitt, waren die Sterne über dem Meer klar zu sehen, die Insel entzog sich aber jedem Blick. Die Holzhütten, die erhöht auf Stelzen standen, wirkten ruhig. Das Dorf schlief und nur eine Handvoll Wachen schützte die Bewohner vor wilden Tieren. Leise ging Tapo zur Hütte seiner Familie und legte sich zum Schlafen auf die Matte aus verflochtenen Palmenblättern.
In seinen Träumen sah er eine Frau mit heller Haut, die inmitten meeresblauen Sandes auf einem Thron aus weißem Stein saß. Sie trug ein langes Kleid aus bunten Stoffbahnen, das wie ein Regenbogen wirkte. Das lange schwarze Haar lag zu einem Zopf geflochten über ihrer rechten Schulter. Mit dunklen Augen lächelte sie freundlich und mit einem Handzeichen bat sie Tapo, näher zu kommen.
Abrupt endete der Traum, als sein Vater den jungen Mann wachrüttelte. „Wo warst du, Junge? Wo ist dein Fang?“, blaffte der bärtige Mann seinen Sohn an, der sich die Augen rieb und versuchte, die Müdigkeit abzuschütteln. Es brauchte einen Moment, ehe Tapo einen klaren Gedanken fassen und seinen Vater beschwichtigen konnte. „Ich erkläre beim Frühstück alles und dann gehe ich auf die Reise.“, machte der junge Mann dem älteren klar. Seine Mutter saß bereits mit seinen vier Geschwistern an der Kochstelle, wo Hirsebrei in einem Topf garte, zu dem sie Kochbananen reichte. Streng schaute sie ihren ältesten Sohn an, in ihren Worten klang dennoch Nachsicht mit. „Du warst gestern den ganzen Tag fort. Was war passiert, dass du ohne Fisch zurückgekommen bist?“, wollte sie wissen. Tapo berichtete seiner Familie während des Essens von den Geschehnissen des Vortages und alle hörten ihm gespannt zu. Sein Vater tat es als Ausrede ab, während seine Mutter ihm zu glauben schien. Die jüngeren Geschwister waren von der Geschichte fasziniert und meinten, dass Tapo nach der Prinzessin suchen sollte, wie er versprochen hatte.
Der junge Fischer ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen und bereitete seine Abreise vor. Von seiner Mutter bekam er Proviant, eingeschlagen in ein großes Bananenblatt. Er bewaffnete sich mit einer Harpune und einem scharfen Messer, um sich in der Wildnis behaupten zu können. Mit Umarmungen und Küssen nahm Tapo Abschied von seiner Familie, nur sein Vater war zornig gegangen. Tapos Mutter würde ihn noch zur Vernunft bringen, versprach sie ihm.
Mit der Harpune, die er als Wanderstab nutzte, und einer aus Baumfasern geflochtenen Tasche, welche um seinem nackten Oberkörper hing, machte sich der schlanke Mann auf den Weg Richtung Norden, die Mittagssonne im Rücken. Er wanderte unweit des Strandes am Rand des Dschungels entlang, bis die Sonne sich anschickte, hinter den Wellen des weiten Meeres zu versinken. Tapo schnitt für sein Nachtlager einige große Blätter von einer grünen Staude.
Der warme Sand des Strandes und die Anstrengungen des Tages ließen ihn schnell einschlafen. Wieder brachten ihn seine Gedanken zu der fremdartigen, anmutigen Frau, die ihm auch diesmal ein Lächeln schenkte. Ihre Lippen formten Worte, die in seinen Gedanken widerhallten: „Ich erwarte dich. Die Erdgeister haben mir von dir erzählt.“ Die Prinzessin der blauen Sande zeichnete mit einem armlangen, metallenen Stab eine Karte in den feinkörnigen Untergrund, der sie umgab. Die junge Frau zeigte auf die Linien im Sand, wobei sie Bilder eines Flusses, von Bergen und einer Sandwüste in Tapos Kopf schickte. Er versuchte sie zu verstehen und sich einzuprägen, ehe er erwachte.
Geweckt wurde der junge Mann vom Gezeter eines Vogelschwarms, der aus den Baumkronen brach, als die Sonne über das Blätterdach des Urwaldes stieg. Von seinem Proviant nahm er einen Bissen und verstaute den Rest, um über den Tag zu kommen, dann setzte er seinen Marsch fort. Gegen Mittag kam er an einen Fluss, der sich breit gefächert in das Meer ergoss. Das Sumpfland des Flussdeltas machte ihm das Vorankommen schwer, weshalb er dem Meer den Rücken kehrte und dem Lauf des Stroms aufwärts folgte.
Der Weg wurde zunehmend steiniger und kam dem Bild nahe, das die Prinzessin ihm von dem Fluss gezeigt hatte. Als der Tag sich dem Ende näherte, kam in der Ferne ein großer Wasserfall in Sicht, doch Tapo beschloss, sich vor Einbruch der Nacht einen Unterschlupf zu suchen. An einen großen Baum gelehnt übermannte ihn die Müdigkeit und er fiel in einen schweren, traumlosen Schlaf.
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Der zwergische Lord (Dienstag, 22 Oktober 2024 18:32)
Die Geschichte macht mich neugierig. Wie du die Farben beschreibst, sie bespielst, das ist bewegend. Diese wirklich kraftvollen Eigenschaftswörte. Die Umstände entfalten sich, ohne das der Text an Sätzen überladen wäre.
Ich bin schon sehr gespannt wie es Tapo so ergehen wird :D