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49. Befreiungsschlag

Eine Gruppe von Zwergen steht in einem von Fackeln beleuchteten Gewölbe einem großen Gegner gegenüber. Erstellt mit ChatGPT.
Ein Troll greift Darils Gruppe an. (KI-generiert)

Content-Warnung: Dieses Kapitel enthält detaillierte Beschreibungen von Kampf und Gewalt, einschließlich blutiger Auseinandersetzungen. Leser*innen, die empfindlich auf solche Darstellungen reagieren, sollten dies beachten.

 

Auf dem großen Markt fanden wir einige Garküchen, die uns mit den exotischsten Düften lockten. Ich interessierte mich für die gefüllten Teigfladen, die eine alte Frau anbot. An einem Spieß briet geschichtetes Fleisch, von dem sie immer wieder das fertig gegarte Stück mit einem scharfen Messer absäbelte. Das Fladenbrot füllte sie mit reichlich Salat und Gemüse und einer großen Portion des köstlich anzuschauenden Fleisches, das über glühenden Kohlen geröstet worden war. Den Abschluss machte eine weiße Soße mit reichlich Knoblauch. Anschließend rollte sie den Fladen mit der reichhaltigen Füllung zusammen und reichte ihn mir mit einem sauberen Tuch. Sie hielt mir ihre Hand entgegen. „Fünf Silberlinge, der Herr.“, meinte sie fordernd. Mir wurde schnell klar, dass sie eine Bezahlung verlangte. Ich besaß jedoch kein Geld und wollte das Essen schon zurückgeben, als Khûna der Dame die Silberstücke in die Hand drückte. Zufrieden nickte die Köchin und wünschte uns einen guten Tag. Erstaunt fragte ich Khûna: „Woher hast du das Geld? Ich wusste nicht, dass du dich damit auskennst.“ Sie grinste nur. „Mein Großvater war einst öfter hier und berichtete mir von dem Großen Basar. Er hinterließ mir auch einen Batzen Münzen, falls ich jemals hierherkommen würde.“, erklärte sie und lud die ganze Gruppe ein, auf ihre Kosten zu speisen. „Dein Ahne war ein weitsichtiger Mann. Ich erinnere mich, dass du ihn schon einmal erwähnt hattest.“, gab ich nach kurzer Überlegung zu.

 

Bald hatte jeder eine kleine Mahlzeit in den Händen, die von Khûna bezahlt worden war, und langsam liefen wir schmatzend und kauend zu unserer Unterkunft zurück. Ich wollte Deru noch von unserer Unterredung mit den Ratsherren der Gilde berichten, ehe wir loszogen, um unsere Freunde zu finden.

Der Zentaur hielt sich wie gewohnt an der Theke auf, die auch als Rezeption für Übernachtungsgäste diente. Unruhig scharrte er mit den Hufen über den Teppich, als er uns kommen sah. „Ich bin schon ganz aufgeregt, was ihr zu erzählen habt.“, gab er unumwunden zu, woraufhin wir ihm von dem vorangegangenen Treffen mit den hohen Herren berichteten. „Hm, ihr wollt also gegen das Schattenkartell antreten. Das ist mutig. Habt ihr einen Plan?“, erkundigte er sich und ich antwortete: „Wir müssen uns die Lage vor Ort ansehen, bevor wir darüber entscheiden können, wie wir vorgehen werden. Kannst du uns einen ortskundigen Führer zur Seite stellen, um die Höhle schnell aufzufinden?“ Deru überlegte, dann nickte er und entschied: „Der Spriggan wird euch dorthin bringen. Er und seine Sippe hatten das Kartell ausgekundschaftet und kennen sich in den Wäldern bestens aus. Ich schicke ihn zur Almadina, damit er rechtzeitig bei euch ist.“ Es fühlte sich gut an, solche Unterstützung zu erfahren, dennoch war mir bei der Sache, die nun anlief, nicht ganz wohl.

 

Bevor es losgehen sollte, zogen wir uns ein letztes Mal auf die Zimmer zurück, um Rüstungen und Waffen anzulegen. Unvorbereitet sollten wir auf keinen Fall dieses Wagnis eingehen. Außer einem Paar Lederstulpen für die Arme und meinem Kettenhemd verfügte ich kaum über Rüstung, doch meine Streitaxt aus dem Hartfels und das kleine Hackebeil würde ich zu führen wissen, wenn es darauf ankäme. Linnarhan ließ sich von mir beim Anziehen der Lederrüstung helfen, dann legte sie den Gürtel mit der Schwertscheide an. Ihren Köcher trug sie über der Schulter und den Kompositbogen nahm sie in die linke Hand. Unten im Gastraum fanden wir uns wieder zusammen, Hyrasha meinte, dass sie alles Nötige bei sich hatte. So schritten wir entschlossen zur Tür der „Blauen Schwalbe“ und verließen das Etablissement.

 

Vor dem Eingang des Stadthauses hüpfte der Waldkobold auf und ab, als wir in Sichtweite kamen. Auch die Golems und Graff warteten bereits auf uns. Der Ratsherr winkte zwei Stadtwachen heran, die er uns vorstellte: „Mog und Ulig. Sie werden eure Unterstützung sein.“, sagte er und nickte, dass seine Löwenmähne eindrucksvoll wogte. Ich bedankte mich mit einer kleinen Verbeugung und der hohe Herr verschwand in der Almadina. Wir zogen uns an den Rand des großen Marktes zurück, um uns kennenzulernen und unser Vorgehen abzusprechen. Der Spriggan wirkte ungeduldig, doch wir würden seine Kenntnisse brauchen, sobald wir die Stadt hinter uns gelassen hatten. „Könnt ihr mir zeigen, wie die Golems befehligt werden?“, fragte ich die beiden Soldaten und zeigte ihnen meinen Zirkon, den sie mit großen Augen bestaunten.“Mit diesem Stein sollte es Euch leichtfallen, Herr Daril. Im Hinterkopf der Wächterkonstrukte ist der Steuerkristall eingelassen, den Ihr mit eurem Juwel verbinden müsst. Dazu ist lediglich etwas Konzentration nötig. Sobald die Magische Verbindung steht, könnt ihr dem Golem Eure Befehle als Gedanken übermitteln. Außerhalb der Stadt könnt Ihr gern Euer Glück versuchen.“, erklärte Mog mir geduldig. Währenddessen hatte Foret mit dem Waldkobold gesprochen und nickte. Die Wachen sorgten dafür, dass die Golems die Gruppe flankierten, als der Spriggan und Hyrasha uns zum westlichen Stadttor führten. Dort sorgten die Torwächter für einen freien Weg, als wir sie passierten und hinausschritten.

 

Ulig deaktivierte beide Golems, die er führte und winkte mich zu sich. „Am besten ist es, ich zeige Euch, wie es funktioniert. Macht einfach mit, während ich erkläre.“, forderte er mich auf und hielt seinen roten Kristall an die Hinterseite des einen Konstruktes. Wie angewiesen tat ich es ihm mit meinem Zirkon nach. Ich versuchte, mich zu entspannen und meine Gedanken mit dem Steinwesen zu verbinden. Der magische Fluss der Kristalle leitete mich tatsächlich recht schnell zu meinem Ziel. ‚Wach auf, Golem!‘, dachte ich und er aktivierte sich. ‚Befehle?‘, schoss es in meine Gedanken zurück. Das einzig Schwierige war für mich, die Augen offen zu halten und meine eigene Wahrnehmung aufrecht zu erhalten. Mir erschien es, als würde ich meinen Kopf in zwei Teile spalten. Ich probierte mich aus und schickte unterschiedliche Anweisungen an den Steinkoloss. Es lief gut und ich gewöhnte mich langsam an die seltsame, geteilte Sichtweise. Nach einer Weile des Übens kam ich gut damit klar und behielt beidseitig einen klaren Fokus.

Nun waren wir bereit, die Höhle des Schattenkartells aufzusuchen. Der Spriggan hüpfte voraus und wir folgten so gut wir konnten.

 

Wir hatten die relative Sicherheit Sajranzizars verlassen und schlugen uns durch das Dickicht des Mischwaldes. Der Spriggan lief und hüpfte behände voran, dass wir Mühe hatten, ihm zu folgen. Es dämmerte bereits, als unser Kundschafter innehielt und der Gruppe bedeutete, anzuhalten. Ich löste die Verbindung zu dem Golem und schaute mich eingehend um. In einem Felsspalt vor uns flackerte Feuerschein, womöglich von Fackeln. Dort musste der Eingang zum Unterschlupf des Schattenkartells sein. Um mich herum flüsterten die Blätter des Waldes im sanften, kühlen Wind. Die leisen Stimmen einer Schar Waldkobolde vermischten sich mit den Geräuschen der Umgebung, dann wandte sich unser Spriggan an mich: „Die Höhle ist schwer bewacht. Ein Zugang zu einer alten, verfallenen Burg der Menschen. Kerker, dunkle Magie und Verderbnis. Seid vorsichtig!“ Ich fühlte einen dicken Kloß in meinem Hals und musste schwer schlucken. Linnarhan, Hyrasha und die Zwerge verhielten sich ruhig. Nun mussten wir besonnen vorgehen, um mögliche Gefahren zu vermeiden.

 

„Können wir die Golems in der Nähe des Eingangs postieren, um sie bei Bedarf herbeizurufen?“, fragte Pelok die Wachleute. Sie nickten im Gleichtakt. Hyrasha schien angestrengt nachzudenken und ich überließ ihr die nächsten Worte. „Wie wäre es, wenn wir zwei möglichst gleichstarke Gruppen bilden? Eine als Vorhut, die andere als Absicherung.“, schlug sie vor und alle zeigten sich einverstanden. „Gut, dann teilen wir uns auf. Linnarhan, Pelok und Mog kommen mit mir. Wir gehen zuerst hinein. Die zweite Gruppe folgt, wenn Foret nach meinem Zeichen bis einhundert gezählt hat. Die Golems werden wie besprochen aktiviert und am Eingang versteckt in Position gebracht. Ulig übernimmt zwei von ihnen, Mog und ich je eines der Konstrukte.“, teilte ich die Rollen ein. Die Wachmänner und ich aktivierten die Steinkolosse, dann ging es los.

Gemeinsam schlichen wir uns an den überwucherten Spalt heran, der in die Höhle führte. Nun teilten wir uns auf und ich winkte Foret zu, damit er anfing zu zählen. Mit gezogenen Waffen wagten wir uns in das unbekannte Terrain.

 

Der Felsspalt war breit genug, dass zwei Menschen nebeneinander hindurchpassten, für die Golems würde der Platz demnach ausreichen. Ein kleiner Lagerplatz mit einer Feuerstelle war dahinter eingerichtet worden. Das waren die Flammen, die wir von dem Beobachtungsposten ausgemacht hatten. Der Felsboden war abgenutzt und staubig, was auf rege Benutzung hinwies. Ich winkte meiner Gruppe, mir zu folgen und wir schlichen in einen natürlichen Gang hinein, in dem Fackeln an der Wand hingen. Es gab keinen Abzweig, bis wir zu einer runden Kaverne im Kalkstein gelangten. Drei weitere Gänge vor uns. Schritte links von uns aus dem Tunnel. Ich drückte mich nah an die Wand, meine Gefährten taten es mir nach. Vorwärts durch den mittleren Stollen drangen wir vor. Immer langsam und leise. Unsere natürliche Dunkelsicht war ein großer Vorteil von Zwergen und Elfen. Geringste Lichtquellen reichten uns, um gut zu sehen und uns zu orientieren. Von links kreuzte ein weiterer Gang. Fackelschein kam näher. Linnarhan konnte keine Steingestalt annehmen, das musste ich berücksichtigen, aber sie war eine geübte Jägerin. Ich vertraute ihr. Ruhe bewahren, bedeutete ich meinen Leuten mit dem Zeigefinger vor den Lippen. Eine Gestalt näherte sich im Licht des Feuers, das sie mit sich trug. Schlurfende Schritte und mehrfaches Husten kamen uns entgegen. Mit aschgrauer Haut trat ein Wesen in den Tunnel, wie ich es noch nie gesehen hatte. Beinahe menschlich, doch mit grotesken Zügen und zerfledderten spitzen Ohren. Geifernde Zähne, die aus einem unförmigen Mund ragten. Speichel rann ihm von den Lippen. In der rechten Hand einen schartigen Säbel. „Rieche euch, Gesocks!“, konnten wir es krächzen hören. Ich war mir unsicher, ob wir losschlagen sollten. Noch griff uns das Wesen nicht an. Würde es nach Verstärkung rufen?

 

Ich entschied mich abzuwarten und dann hinter dem Ork in den Tunnel zu schlüpfen, aus dem er gekommen war. Er zögerte an der Gabelung für einen Augenblick, dann ging er in entgegengesetzter Richtung weiter. Unser Weg war frei und wir mussten uns noch nicht zu erkennen geben. So schnell es möglich war, ohne verdächtige Geräusche zu machen, bewegten wir uns voran. Der gewachsene Fels wich vermauerten Bruchsteinen. In die Mauer war rechts von uns eine schwere, beschlagene Holztür eingelassen. Das musste der Zugang zum Kerker der alten Burg sein, die der Spriggan erwähnt hatte. Hinter uns polterte es laut.

 

Mit Getöse rannte ein grauhäutiges Monster mit blau glühenden Augen auf uns zu und brüllte. Linnarhan rannte einige Schritte weiter, um mit Pfeil und Bogen eine sichere Position einzunehmen. Mog, die Stadtwache, lenkte die Aufmerksamkeit des trollhaften Geschöpfes auf sich, Pelok und ich konnten das Wesen so an dessen Rückseite angreifen. Die Elfin erwies sich als gute Schützin, denn sie traf den Riesen mehrfach in Brusthöhe. Diese Gelegenheit nutzte ich, um meinen Wächtergolem herbeizurufen. Meine Streitaxt schnitt mit einem weit ausgeholten Streich tief ins das Fleisch des Gegners. Aus der klaffenden Wunde troff dunkles Blut, das schwer auf den steinernen Boden klatschte.

Hinter mir polterte und krachte es in den Tunneln und Gängen, der Golem raste heran. Auf seinem Weg waren ihm die Kameraden der anderen Gruppe hastig aus der Bahn geflohen. Das Konstrukt erlöste Mog von den direkten Angriffen des Monsters und schlug darauf ein. Der Wachsoldat wirkte etwas erschöpft, doch er kämpfte unverdrossen weiter. Pelok erwischte mit seiner Zweihandklinge eine Kniesehne des Wesens, das unter Gejaule einknickte. Der Golem zertrümmerte ihm den Kopf mit einen unangenehmen Knacken. Noch einmal zuckte der massige Leib, dann blieb er still liegen. Pelok fuhr sich zitternd mit der linken Hand über den Kopf und sagte nach Luft japsend: „Das war anstrengend. Auf noch so einen Kampf kann ich verzichten.“

 

Der Golem hatte keinen Schaden genommen, was mich erfreute, daher stellte ich ihn als Wache an der Tür ab. Nun konnten wir nachsehen, ob sie sich öffnen ließ. Linnarhan sammelte ihre verschossenen Pfeile ein. Einige waren noch brauchbar. Die Tür ließ sich nicht öffnen, also mussten wir einen passenden Schlüssel finden. Pelok durchsuchte den toten Troll, fand aber nichts in seiner spärlichen Kleidung außer ein paar Brocken schimmliges Brot. Vielleicht würden wir bei dem Ork, der uns zuvor begegnet war, mehr Glück haben. Ich überlegte, zurückzugehen, um uns mit der zweiten Gruppe zu treffen und das weitere Vorgehen zu bereden. Im Flüsterton sprach ich zu meinen Gefährten: “Hier müssen wir hindurch, einen anderen Weg wird es nicht geben. Wir sollten uns mit den Anderen besprechen. Gehen wir!” Die drei nickten nur und folgten mir. An der Tunnelgabelung trafen wir auf Forets Leute, denen ich von der Tür erzählte. “Ja, die Patrouillen sind uns auch begegnet, bisher konnten wir sie umgehen. Wir holen uns den Schlüssel.”, bestätigte er entschlossen. An dem Zugang zur Burg wollten wir uns erneut versammeln, sobald die Höhlengänge sicher waren und der Schlüssel in unserer Hand. Wir teilten uns wieder auf und durchstreiften die Felsentunnel, nun um anzugreifen.

 

Meine Leute und ich passierten den erschlagenen Troll und wir erforschten den Gang mit der Bruchsteinmauer weiter. In regelmäßigen Abständen erhellten Fackeln in grob gearbeiteten Metallhaltern an der Wand unseren Weg. Entgegenkommende Wachen waren deshalb schlechter auszumachen. Vorsichtig gingen wir voran. Schritte. Ein weiterer Ork, der nach Eindringlingen Ausschau hielt und vor sich hin schimpfte: “Rattendreck! Noch mehr zu tun. Garstiger Boss. Stinkende Zwerge, wo seid ihr?” Hatte er uns nur gerochen, wie der erste Ork, oder suchte er bewusst nach uns? Mit gezogenen Waffen erwarteten wir die hässliche Gestalt. Linnarhan hielt ein schmal gefaltetes Tuch als Knebel bereit, womit sie lautlos hinter das Wesen schlich, das unvermittelt seine Fackel und einen plumpen Knüppel fallen ließ. Pelok, Mog und ich traten ihm entgegen, während die Elfin ihn am Rücken festhielt. Abscheu lag in der fahlen Miene des Orks, der uns feindselig ansah. Mog durchsuchte das Wesen, das sich verzweifelt versuchte zu wehren. Schließlich fand er den gesuchten Gegenstand, der an einem Ring an dem improvisierten Gürtel des Orks hing. Mit einem Messer schnitt der Soldat die Kordel durch und hielt mir einen großen schmiedeeisernen Schlüssel hin. Gehässig zischte das Wesen durch den Knebel hindurch, woraufhin die Elfin das Tuch etwas fester um sein Gesicht zog und festknotete. Pelok reichte ihr ein kurzes Stück Seil, womit Linnarhan die Hände des Gefangenen zusammenband. Bevor wir den Kerkertrakt der Burg betraten, überprüften wir die verbliebenen Felsgänge eingehend und schleppten die wimmernde Kreatur mit uns. Bei unserem Rundgang fiel uns nichts Verdächtiges auf, bis wir die vereinbarte Stelle erreicht hatten, um die andere Gruppe wieder zu treffen.

 

Hyrasha kam uns keuchend entgegen, dabei hielt sie sich die Schulter. Die drei Zwerge kamen hinter ihr zum Vorschein. Khûna schleifte den Kopf des anderen Orks an dessen dünnen Haaren hinter sich her. „Wir haben einen Schlüssel.“, sagte Ulig stolz und reckte seine Hand damit in die Höhe. Der gefangene Ork schien fluchen zu wollen, aber seine Laute drangen nur erstickt zu uns. Mir brannte eine Frage auf den Lippen, die ich Khûna stellte: „Ihr habt ihn getötet. War das nötig?“ Alle vier nickten. „Er hatte uns wohl gerochen, als wir ihn im Fackelschein sahen. Denn er drehte sich plötzlich um, stürmte auf Hyrasha zu und erwischte sie. Er war ihn ihr gezogenes Schwert gerannt.“, schilderte Foret die Ereignisse, dann ergänzte Ulig: „Wir durchsuchten kurz seine Habe, nahmen ihm den Schlüssel ab und wollten ihn liegen lassen. Als wir weitergehen wollten, regte sich der Körper aber wieder, richtete sich auf und ging auf Khûna los, die ihm mit einem einzigen Schlag den Kopf abtrennte.“ Mit aufkommendem Brechreiz nickte ich. Linnarhan sah sich Hyrashas Wunde an, die leicht nässte. Dunkle Blutergüsse hatten sich auf ihrer Schulter gebildet. Die Behüterin biss fest die Zähne zusammen, als Linnarhan Alkohol auf den Schnitt goss und stöhnte gequält. Aus ihrem kleinen Rucksack zog die Elfin einen sauberen Stoffstreifen, mit dem sie die Wunde fachmännisch verband. „Danke.“, sagte Hyrasha lächelnd und blickte die Heilkundige erleichtert an. Insgeheim bewunderte ich meine Verlobte für ihre Umsicht und ihr Können.

 

Ich nahm den Gefangenen erneut ins Visier. „Nimm ihm den Knebel ab.“, bat ich Mog, der seine Bewachung übernommen hatte. Der dünne, ausgemergelte Ork spuckte trocken und begann zu zetern: „Mörder! Der Meister wird euch hinrichten! Er wartet schon.“ Er spie die Worte förmlich aus, so sehr verachtete er uns. Dabei versuchte die traurige Gestalt nach mir zu treten. Ihm auszuweichen war nicht schwer, da Mog ihn weiterhin festhielt. Nur langsam beruhigte er sich, bis ein Hustenanfall seinen Sermon unterbrach. Ich hielt ihm meinen Wasserschlauch entgegen, was ihn sichtlich stutzig machte, aber er lechzte danach. Ich kippte ihm etwas Wasser in den Mund, das er gierig soff. „Dein Meister weiß, dass wir hier sind. Gut. Dann werden wir weiterhin bei jedem Schritt aufpassen. Liegt es an ihm, dass dein Freund hier“, ich zeigte auf den Kopf, den Khûna immer noch festhielt, „noch einmal aufgestanden war?“, fragte ich fordernd. Seine langen, angefressen wirkenden Ohren schlackerten, als er mit krächzender Stimme antwortete: „Der Meister weckt die Toten auf, bis der Kopf nicht mehr auf den Schultern sitzt. Seine Horde erwartet euch im Dunkel.“ Diese Worte klangen nicht nach einem tumben Ork, womöglich stand er unter der Kontrolle einer dunklen Magie. Doch einen entscheidenden Rat hatte er mir gegeben. Wir mussten den kommenden Gegnern den Kopf abschlagen, damit sie sich nicht wieder erheben würden. Dem Ork entwich mit einem Male alles Leben, den Augen entschwand jeglicher Wille und er sackte in sich zusammen. Erneut zog ich meine Streitaxt und deutete Mog, den Gefangenen fallen zu lassen. Alles in mir strebte sich gegen die bevorstehende Tat, aber es musste sein. Ich holte aus und schlug dem Ork den Kopf ab. Tränen schossen mir in die Augen, ich sank auf meine Knie und heulte. Ein Teil der Anspannung fiel von mir ab, denn Linnarhan legte liebevoll ihre Arme um mich. „Du hast das Nötige getan, Daril.“, sagte sie und küsste sanft meine Wange.

 

Ich raffte mich auf, atmete tief durch und versuchte meine aufgewühlten Emotionen zu beruhigen. „Wir gehen jetzt zur Tür. Ab dort teilen wir uns wie zuvor auf. Folgt uns nach, sobald Foret bis einhundert gezählt hat. Ulig und Mog, bitte holt die verbliebenen Golems herein, damit sie an der Tür bereitstehen, bis wir sie brauchen.“, ordnete ich strategisch kühl an. In meinem Inneren brodelte es weiterhin, doch ich musste Entscheidungen fällen, die uns alle betrafen. Die massive Tür erreichten wir schnell. Von Gegnern war in den Höhlen keine Spur mehr. Ich rang mit mir innerlich, ob ich dem gewachsen sein würde, was drohende Schatten voraus warf. Ich fasste mir ein Herz, schob alle Zweifel beiseite und steckte den Eisenschlüssel in das Schloss und drehte ihn. Mit einem scharfen Klacken reagierte der Mechanismus und ich konnte die Tür öffnen. Ich nickte Foret zu und begab mich in den Kerker der Burgruine.

 

Ein muffiger Geruch nach vermoderndem Stroh strömte uns entgegen. Grobe Eisengitter und festes Mauerwerk aus Bruchstein schufen ein beklemmendes Gefühl, sodass mir der Atem stockte. Fackelhalter an den Wänden erhellten das dunkle Gemäuer nur spärlich. Ketten hingen in den einfachen Gitterzellen von der Decke. Eine Streckbank tauchte im diffusen Licht beim Vorbeigehen auf. An das weitgehend offen gehaltene Areal schlossen sich drei gleichartige Flure mit jeweils sechs dicken Holztüren an. Das mussten die Zellen sein. Die vergitterten Sichtlöcher waren für uns Zwerge zu weit oben in der Tür. Nur Linnarhan konnte in die Kerkerzellen hineinsehen. An jeder Tür schüttelte sie ihren Kopf. Wo konnten meine Freunde nur sein? Mein Atem ging schwer, auch Pelok und Mog wirkten sehr angestrengt. Das Gesicht der Elfin erschien mir teilnahmslos und konzentriert, doch eine natürliche Erhabenheit ging von ihrer Erscheinung aus. Der mittlere Gang endete in einer weiteren Tür, die nicht verschlossen war. Langsam schob ich sie auf und stolperte über die flache Schwelle in den alten Wachraum hinein. Mogs starker Arm bewahrte mich vor dem Fallen und ich strauchelte nur leicht.

 

Mit dem Rücken zum zerstörten Tisch, der in der Mitte des quadratischen Raumes stand, saßen drei mir bekannte Zwerge gefesselt und geknebelt auf dem kalten Steinboden. Gleichzeitig spürte ich, dass sich viele Augen auf mich richteten. In der linken Ecke wand sich eine steinerne Treppe an der Mauer entlang nach oben. Auf ihr standen schussbereit Bogenschützen. Auf beiden Seiten schnaubten und geiferten graue Gestalten nach uns, die unbeholfen näherkamen. Reflexartig zog ich die Tür wieder zu. Aus dem Dunkel des Kerkers erschien Foret mit seiner Gruppe, die zu uns aufgeschlossen hatte. „Wir brauchen einen großen Schild, um die Pfeile der Bogenschützen abzuwehren. Wollen wir einen der Golems vorschicken?“, Alle nickten, Mog und Ulig holten zwei der Konstrukte heran, die mit zerstörerischer Kraft vordrangen. Wir zogen uns in die beiden Seitenflure zurück, um den Steinriesen Platz zu lassen. Sie zermalmten die untoten Fußsoldaten förmlich. Im vergitterten Foltertrakt entdeckte ich einen kleineren Tisch, der als Schutz vor den Pfeilen dienen konnte. Ich bedeute Khûna, mir zu helfen. „Ich renne mit dem Tisch über unseren Köpfen hinein, du löst die Fesseln unserer Freunde.“, wies ich sie an, dann sprach ich mit den Anderen: „Holen wir die verbliebenen beiden Golems herein und positionieren sie vor dem Mittelgang. Linnarhan, du gibst Khûna und mir Rückendeckung gegen die Bogenschützen. Hyrasha, bitte halte dich zurück. Die anderen flankieren uns, während wir die drei Zwerge dort rausholen.“ Ulig und ich holten die Konstrukte herein, dann gab ich das Handzeichen für den Vorstoß. Alle Angst und Vorsicht wich aus mir, denn ich wollte meine lange vermissten Freunde wiedersehen und in die Arme schließen.

 

Die Kampfgeräusche der beiden ersten Golems gegen die Untoten und die orkischen Bogenschützen drangen zu uns herüber. Wir formierten uns wie besprochen und ich stürmte mit dem erhobenen Tisch in die Wachkammer hinein, genau zwischen die beiden um sich schlagenden Steinwächter. Khûna blieb an meiner Seite. Ein Pfeilhagel begrüßte uns, wobei mir die Spitze eines Geschosses gefährlich nahe kam, als es durch das Holz schlug. Ich hielt den improvisierten Schild so gut ich konnte in die Höhe. Khûna befreite die Gefangenen, während unsere Freunde die Angreifer abwehrten. Als wir uns langsam rückwärts aus dem Raum bewegten, konnte ich sehen, dass die Elfin vom Eingang aus einige der Orks niedergestreckt hatte. Nach einem kurzen Moment standen sie wieder auf ihren Beinen. Hinter mir sirrte ein weiterer Pfeil von Linnarhan den Feinden entgegen, der einem Ork direkt in die Stirn traf. Mit Mühen gelangten wir wieder bei den Zellen an, machten Platz für die steinernen Wächter und schickten sie in das Kampfgetümmel. Bald waren die Untoten besiegt, doch die lebendigen Orks zogen sich auf der Treppe zurück, den Turm hinauf. Den Golems war es nicht möglich ihnen zu folgen, deshalb mussten wir uns über eine neue Strategie beraten.

 

Spigna, Rognil und Olthek wirkten abgemagert und geschunden, als ich meine Gedanken für einen Moment auf sie lenken konnte. Kraftlos lagen sie zwischen uns, während Linnarhan und Hyrasha sich um sie kümmerten. „Wasser!“, forderte die Elfin und hielt uns ihre Hand entgegen. Mein Wasserschlauch war leer, aber Foret hielt ihr seine Trinkflasche hin, deren Inhalt sie Olthek bedächtig einflößte. Im Hintergrund verebbte der Lärm. Die vier Golems schoben die Überreste der gefallenen Gegner beiseite und stellten sich paarweise an den Wänden der Wachstube auf. Wir hatten Zeit zum Verschnaufen.

Hustend schlug Rognil die Augen auf. „Zwerge? Endlich.“, stammelte er noch benommen. Ich nahm seine Hand, die sich kühl und rau anfühlte. Es war Jahre her, dass sich unsere Wege getrennt hatten, als wir Gabil’urdûm verließen. Ich erinnerte mich an das Abendessen mit dem Krakonoš, bei dem Spigna ihre Liebe für Olthek gestand. Dabei glitt eine einzelne Träne aus meinem rechten Auge, die ich mit dem Ärmel wegwischte. Als Spinella sich regte, kam Foret ihr zu Hilfe. „Olthek …“, stöhnte sie leise und streckte die Arme aus. Der ältere Zwerg hielt die Kristallzwergin mit einem Arm fest, während er nach Oltheks Hand langte, um sie näher zu Spigna zu ziehen. Lächelnd drückte sie seine Hand und der Khazdith erwachte mit einem tiefen Atemzug.

 

„Eure Freunde sind gerettet, Herr Daril.“, sagte Ulig zu mir und ich nickte langsam. Mog stellte die logische Frage: „Gedenkt Ihr, noch den Orks nachzujagen und ihren Meister zu stellen?“ Den Herren der Händlergilde hatte ich es versprochen, das Schattenkartell zu zerschlagen. Hier bot sich einmalig eine gute Gelegenheit, dem erfolgreich nachzugehen. Würde ich den Mut aufbringen, mich einem dunklen Magier zu stellen? Ich hatte große Angst, doch wollte ich mein Versprechen einhalten. Das gebot mir meine Ehre als Zwerg. Ein weiteres Mal atmete ich tief durch und sagte: „Ja, ich halte die Abmachung ein. Wir bringen das Kartell zu Fall.“ Ich hatte keine Wahl mehr nach dieser Entscheidung.

 

Meine alten Freunde kamen langsam wieder auf die Beine, ihre Starre löste sich auf und das Blut floss wieder schneller durch ihre Adern. „Die teilweise Versteinerung war hilfreich gegen die Folter.“, hörte ich Rognil sagen. Olthek orientierte sich noch und schaute sich um. „Daril, Foret! Euch hätte ich hier am wenigsten erwartet!“, platzte es aus ihm freudig heraus. Spigna lachte: „Es ist vorbei. Endlich.“ Diesen Moment der Entspannung mussten ich ihnen gewähren, denn sie hatten sicher viel durchgemacht. Dennoch wollte ich wissen, wie sie in die Fänge des Kartells geraten waren.

 

Rognil erzählte kapp die Geschichte: „Wir mussten im Süden Frankreichs die Lorenbahn verlassen. Der Tunnel war zerstört worden und es gab kein Weiterkommen. Über Land schlugen wir uns nachts durch, bis wir in das Gebirge kamen. Kaum waren wir in der Nähe der Stadt, gerieten wir in die Gefangenschaft der Orks. Ihr Meister ist ein Nekromant, der Verstorbene wiedererwecken kann. Abscheulich.“ Er spuckte bei seinem letzten Wort förmlich aus und hielt sich den Kopf. „Sie hielten uns für Zwerge aus der Händlerstadt und befragten uns erst, ehe sie zu härteren Methoden übergingen. Sie wollten nicht einsehen, dass wir gar nichts von dem wussten, was sie in Erfahrung bringen wollten.“, sprach Olthek weiter. Spinella schloss die Geschichte ab: „Sie sperrten uns ein und versuchten immer wieder etwas aus uns herauszuquetschen, was sinnlos blieb.“ Ein Nekromant , das erklärt das Aufstehen der gefallenen Krieger und die Horde Untoter. „Wir sollten den Orks bald nachsetzen, auch wenn wir einen erfolgreichen Zug gemacht haben.“, meinte Pelok, was Zustimmung erntete. Mog teilte uns seine Überlegungen mit: „Ich möchte die Strategie mit den zwei Gruppen gern beibehalten, das hat uns bisher gut geholfen. Auf die Steinwachen müssen wir nun wohl verzichten, können sie das Lager bewachen lassen.“ Das war vernünftig und ich nickte. „Lasst uns die Gruppen neu aufteilen, um mehr Schlagkraft zu bündeln.“, war mein Vorschlag der von allen angenommen wurde. Mit Foret und den beiden Wachsoldaten wollte ich vorausgehen. Pelok, Khûna und Linnarhan würden die Nachhut bilden und uns den Rücken freihalten. Die befreiten Zwerge und Hyrasha sollten im Lager bleiben und sich im Schutz der Golems erholen. „Ich werde mich der zweiten Gruppe anschließen.“, sagte Rognil mit Bestimmtheit. Auch Olthek wollte sich beteiligen. „Als Rückendeckung bin ich sicherlich noch zu gebrauchen, auch wenn die Zeit hier kräftezehrend war.“, gestand er selbstbewusst ein. Ich wollte meinen Freunden nicht zu viel zumuten, doch ich willigte ein. „Ihr kommt nur mit, wenn ihr euch wirklich bereit dafür fühlt. Wir gehen dort oben ein Risiko ein, das ich nicht einschätzen kann.“, warnte ich meine Kameraden. Hyrasha und Spinella wollten es sich nun auch nicht mehr nehmen lassen, dabei zu sein. Die Kristallzwergin versicherte: „Nur zur Sicherheit. Ich kann heilen, sobald ich wieder zu Kräften gekommen bin.“ Hyrasha wollte mich überzeugen, dass sie trotz der Verletzung noch ihr Kurzschwert führen konnte. Ich willigte ein, solange sie in Spignas Nähe blieb.

 

Wir teilten den Proviant unter einander auf und nahmen noch eine gemeinsame Mahlzeit ein, ehe wir loszogen, den Turm zu besteigen und den Meister des Schattenkartells ausfindig zu machen. Nachdem alle so gut wie es ging ausgerüstet waren, denn die Soldaten überließen Olthek zwei Dolche, machten wir uns an den Aufstieg. Die Treppe war für Menschen gebaut worden, weshalb sie uns Zwergen mehr Anstrengung abverlangte. Die Tür zum oberen Geschoss war nur angelehnt. Ich stieß sie mit meinem Fuß auf. Ein Pfeil pfiff heran und blieb im Holz des Türblattes stecken.

 

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