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48. Das Schattenkartell

Eine jung wirkende Frau mit einer braunen Stoffkapuze in einer Lederrüstung. Ein dicker Haarzopf liegt über ihrer Schulter. Erstellt mit ChatGPT.
Hyrasha, die Behüterin der Sagen. (KI-generiert)

So überrascht wie ich war, so sehr freute ich mich, die Behüterin der Sagen endlich wiederzusehen. In ihrem Gesicht spiegelte sich der Anflug eines Lächelns wider, als sie uns mit einer Geste nach draußen bat. Langsam leerte sich der Konzertsaal, die Besucher gingen ihres Weges und ich stellte die beiden Frauen einander vor: „Linnarhan, Hyrasha, ich freue mich, dass ich euch einander bekannt machen darf.“ Die Elfin taxierte aufmerksam die menschlich wirkende Frau, Hyrasha musterte währenddessen meine Liebste. „Endlich habe ich dich gefunden, Permoník. Es hat lange gedauert, bis du den magischen Basar erreicht hattest. Danke für die Nachrichten in der Eisenbinge.“, ergriff die Bewahrerin das Wort, ehe ich etwas sagen konnte. Da ich mich etwas überrumpelt fühlte, konnte ich nur reagieren und schlug vor: „Lass uns im Gasthaus weiterreden. Wir haben uns viel zu erzählen, werte Freundin.“ Sie willigte ein und betrat mit uns die „Blaue Schwalbe“.

 

Unsere drei Freunde saßen wieder in der Sitzecke, die wir am Nachmittag genutzt hatten. Dort unterhielten sie sich mit einem mir unbekannten Waldkobold und grüßten nur kurz, als wir uns dazugesellten. „… gesehen, wie sie von den Schergen des Schattenkartells mit in den Wald genommen wurden, ehe sie die Stadt erreichen konnten. Seitdem gab es keine neue Spur von ihnen.“, erzählte der knorrige Geselle, der einem kleinen, menschenförmigen Baum glich. Ich stutzte und fragte den Spriggan: „Sprachst du gerade von meinen drei Freunden, die ich suche? Zwei Kristallzwerge und ein junger Krieger?“ Mit einem knisternden Geräusch drehte er sich zu mir und bestätigte meine Vermutung. „Ja, zwei Zwerge mit heller, schimmernder Haut und ein Jungspund. Die Beschreibung, die wir von Deru bekamen, passt auf sie. Das ist jetzt schon eine Weile her und wir wissen nicht, was mit ihnen geschehen ist.“, gab er zu. Ich nickte nachdenklich und teilte allen Anwesenden meine Überlegungen mit: „Wir werden darüber beraten und mit Deru sprechen, sobald wir dazu bereit sind, unsere Freunde zu befreien. Wir müssen nur noch mehr Informationen sammeln, ehe wir losschlagen können. Danke sehr für deinen Bericht, der uns etwas Hoffnung gibt.“ Der Waldkobold winkte, sprang auf und hüpfte davon.

 

Nun richteten sich die Blicke aller Zwerge zuerst auf Hyrasha, dann mit fragendem Ausdruck auf mich. Ich stellte die Behüterin der Gruppe vor, wobei jeder bei der Erwähnung seines Namens nickte. „Ohne ihre Hilfe, hätte ich damals Takal Dûm nicht so schnell erreicht. Ich hatte ihr das Heim des Wissens für ihre Studien und die Aufbewahrung ihrer Aufzeichnungen überlassen, ehe Foret und ich die Stadt verließen. Nun ist sie hier und hatte mich eben nach dem Konzert mit ihrer Anwesenheit überrascht.“, erklärte ich Hyrashas Auftauchen aus meiner Sicht. „Diese Stadt ist zu einer Zuflucht geworden, die mittlerweile viele magische Wesen anzieht, die sich von den Menschen bedroht fühlen. Iwan erzählte mir vor einiger Zeit von Sajranzizar und ich dachte mir, dass ich hier früher oder später wieder auf Daril treffen würde. Es freut mich zu sehen, dass er seine Mission bisher erfolgreich bestreiten konnte und euch alle für seine Sache gewonnen hat. Dass eure Freunde aber in die Fänge des Schattenkartells geraten sind, ist, gelinde gesagt, unerfreulich.“, sprach sie mit leichtem slawischen Akzent. Foret nickte und teilte der Bewahrerin mit: „Morgen früh treffen wir die hohen Herren der Händlergilde, um mehr über die Stadt und ihre Probleme zu erfahren. Vielleicht können wir ihnen helfen und dabei unsere Freunde finden. Wir können nicht einfach losrennen und alles riskieren.“ Einstimmig pflichtete die Gruppe dem älteren Zwerg bei. „Bei einem Abendessen können wir uns weiter unterhalten. Wenn wir morgen früh zur Almadina gehen, sollten wir außerdem ausgeruht sein.“, schlug ich vor, was ebenfalls Anklang fand. Wir verließen die bequeme Sitzecke und suchten uns einen Tisch zum Speisen. Deru stand an der Theke und schickte auf mein Winken hin einen Kellner, der sich um uns kümmerte. Ein Wesen mit sechs Armen kam an den Tisch und erkundigte sich nach unseren Wünschen. “Wir empfehlen das Tagesgericht. Heute bieten wir hausgemachte Teigtaschen mit Hackfleischfüllung an, dazu werden gedünstetes, mediterranes Gemüse und eine tomatige Soße gereicht.”, schlug der Bedienstete vor. Ich wollte es gern probieren, also bestellte ich das Tagesgericht und einen Krug Wasser.

 

Immer wieder wechselten Linnarhan und Hyrasha Blicke miteinander, die ich nicht genau einschätzen konnte. Die Lippen der Elfin bebten kaum merklich, als ich sie ansah. Daraufhin nahm ich ihre Hand und hielt sie fest in meiner. Mit meinem Daumen strich ich sanft über ihren Handrücken, während ich sie anlächelte. Ich räusperte mich und richtete mein Wort in die Runde, sah dabei Hyrasha gezielt an. „Linnarhan und ich sind ein Paar, wie sicherlich allen hier aufgefallen ist, obwohl wir es bisher nicht konkret zur Sprache gebracht hatten. Ich möchte hiermit unsere Verlobung bekanntgeben.“, sagte ich mit fester Stimme, dann stellte ich mich hin und wandte mich an die Elfin: „Mein Herz ist dein. Willst du mit mir den Bund der Ehe eingehen, Linnarhan, Tochter von Haldor?“ Ihr Gesicht erhellte sich und sie strahlte mich mit ihren bernsteinfarbenen Augen an. „Ja, liebster Daril, ich möchte deine Frau werden.“, antwortete sie mit hörbarer Erleichterung in der Stimme. Unsere Freunde klopften unter Gejohle auf den Tisch und feierten unsere Entscheidung, nur Hyrasha blieb still und zeigte keine Regung. Für mich waren nun die Verhältnisse geklärt, aber mit ihr wollte ich später unter vier Augen reden.

 

Als die Bedienung wieder erschien und die Getränke brachte, stießen wir auf die Verlobung an. Linnarhan schloss mich in ihre Arme und schenkte mir einen innigen Kuss, was mich über alle Maßen glücklich machte.

Der Kellner, der mit seinen sechs Armen und seiner jadegrünen Haut einer indischen Gottheit glich, brachte das Essen. Die Portionen waren selbst für meine Verhältnisse groß und es duftete wirklich köstlich von allen Seiten des Tisches.

Das Röstgemüse auf meinem hochrandigen Teller verströmte den Duft von Paprika, Fenchel und Zucchini. Die Teigtaschen bestanden aus Nudelteig, der nach dem Kochen in Butter goldbraun geröstet worden war und beim Aufschneiden leicht knusperte. Die Soße aus Tomaten und frischen Paprika, die ich mehr als einen Dip wahrnahm, war scharf, mit dem Hauch einer Süße, die ich nicht bestimmen konnte. Alle Bestandteile meines Gerichtes bildeten ein harmonisches Ganzes, doch die Krönung für mich stellte die Fleischfüllung der Nudeltaschen dar. Die intensive, fremdländische Würzung empfand ich zunächst als ungewohnt, doch der Geschmack explodierte förmlich in meinem Mund. Ich schmeckte neben dem Lammfleisch frische Kräuter wie Minze und Schnittlauch heraus, aber auch Zimt und Cumin sorgten für eine besondere Geschmacksnote.

Ich bemühte mich, langsam zu essen, obwohl ich den Drang spürte, dieses leckere Essen förmlich aufzusaugen, so gut schmeckte es mir.

Bald erschien die Bedienung ein weiteres Mal am Tisch und fragte: „Ist alles zu eurer Zufriedenheit? Darf ich noch etwas bringen?“ Ich fragte nach einem Heißgetränk, was die Kreatur mit einer Gegenfrage quittierte. „Tee, Fruchtaufguss, Kräutersud, Kaffee oder etwas Spezielles?“ Ich dachte kurz nach. „Was würde gut zu meinem Essen passen?“, fragte ich etwas unsicher, doch der Kellner antwortete prompt: „Ein Gewürztee wird gern genommen. Darf ich Euch einen bringen?“ Dazu willigte ich ein und es dauerte nicht lange, bis er eine Trinkschale mit einem dampfenden, dunklen Getränk zu mir brachte, das aromatisch und leicht bitter schmeckte. Mir gefiel das sehr gut.

 

Hyrasha hatte sich die gesamte Zeit über still verhalten. Als wollte sie sich aus unserer Gesellschaft lösen, stand sie vom Tisch auf und wandte sich an die Gruppe. „Es ist spät geworden, daher werde ich zu meiner Unterkunft gehen, um zu schlafen.“, sagte sie. Der Moment für das klärende Gespräch war gekommen, also bot ich an, sie bis zur Tür der „Blauen Schwalbe“ zu begleiten. Sie nickte knapp.

Mir fiel es schwer, die richtigen Worte zu finden, und doch sprudelte es aus mir heraus: „Ich habe deine Reaktion gesehen. Du hattest eine andere Vorstellung, unser Wiedersehen betreffend?“ Hyrasha blieb stehen. „Ja. Ich hatte dich über die Jahre sehr vermisst, dummer Permoník. Doch hatte ich nicht geahnt, wie sehr es mich schmerzen würde, dich mit einer anderen Person so vertraut zu sehen.“, gestand sie mir. Ich sah sie bewegt an und blickte fest in ihre eisblauen Augen, aus denen kleine Tränen perlten. „Dass wir in Takal Dûm unterschiedliche Wege gingen, ist gut fünfzehn Jahre her, werte Behüterin. Seitdem ist sehr viel geschehen. Ja, ich mag dich. Du warst und bist eine wundervolle Freundin, doch mein verliebtes Herz schlägt für Linnarhan.“, versuchte ich mich zu erklären, während die jung wirkende Frau vor mir schluchzte. Ich reichte ihr ein sauberes Tuch, das ich in meiner Hosentasche mit mir trug, womit sie ihr Gesicht trocknete. Sie beruhigte sich langsam und gewann wieder an Fassung. Mit solch aufgewühlten Gefühlen hatte ich Hyrasha noch nie zuvor gesehen, sonst hatte sie sich stets gefasst und zurückhaltend gegeben. Ich dachte kurz nach, bevor ich sie erneut ansprach: „Ich wusste nicht, wie du empfindest. Doch für mich ändert das nichts. Du bist meine Freundin, Linnarhan ist die Frau, die ich liebe. Ich wünsche mir, dass wir es dabei belassen können, auch wenn es dich schmerzt. Es tut mir leid, wenn ich dir damit Unbehagen bereitet habe.“ Noch einmal schniefte sie in das Taschentuch, dann straffte sie sich. „Ich hatte auch nicht gedacht, dass es mir so schwerfallen würde. Dass meine Empfindungen für dich mehr als freundschaftlich sind, erkannte ich erst, als ich dich mit Linnarhan sah. Es tut mir leid. Meinen Glückwunsch zur Verlobung, lieber Permoník.“, sagte sie, ging weiter und trat durch die Tür des Gasthauses auf die mondbeschienene Straße.

 

Als die zweigeteilte Tür wieder zuging, fiel mir ein Stein vom Herzen, doch ich verharrte noch einen Augenblick auf der Stelle.

In Gedanken versunken kehrte ich langsam zu Linnarhan und den drei Zwergen zurück. “Wir haben morgen viel vor, deshalb werde ich nun ins Bett gehen.”, teilte ich meinen Kameraden mit. Linnarhan schloss sich mir an und wir gingen aufs Zimmer.

Als die Tür hinter uns ins Schloss gefallen war, stellte mich die Elfin zur Rede:  “Gab es Unstimmigkeiten mit Hyrasha? Sie wirkte den ganzen Abend lang nicht sehr glücklich, obwohl ihr euch beide erst wiedergesehen habt.” Ich seufzte, setzte mich auf den weichen Teppich und erzählte ihr von meinem Gespräch mit der Behüterin.

“Das war unerwartet. Sie hatte mich so anklagend angesehen, als würde ich ihr etwas wegnehmen. Irgendwie tut sie mir leid, aber ich denke, dass deine Reaktion die richtige war. Freundschaft ist ein ebenso wichtiges Gut wie die Liebe. Ich hoffe, dass sie ihre Gefühle ordnen kann, weil ich weiß, wie wichtig dir die freundschaftliche Beziehung zu ihr ist. Mir würde es gefallen, gut zu ihr zu stehen, denn uns scheint einiges zu verbinden.”, erörterte Linnarhan ihre Gedanken. Was sie gesagt hatte, berührte mich sehr und ich schenkte ihr ein breites Lächeln, dann fügte ich an:  “Danke, Liebste, für deine Worte. Sie bedeuten mir sehr viel. Ich mag Hyrasha. Gemeinsam hatten wir viel erlebt, das verbindet auch über die lange Zeit, die seitdem vergangen ist. Ich möchte die Freundschaft mit ihr gern erhalten und hoffe, dass sie ebenso denkt.” Die liebste Elfin drückte mich an sich und streichelte mir über den Kopf. Ihre Nähe tat so gut, dass ich mich schnell beruhigte. Ich drückte ihr einen Kuss auf die Wange, bevor ich mich erhob, um mich vor dem Schlafen noch einmal frisch zu machen.

Als ich fertig war, legte ich mich ins Bett, während sie das Badezimmer besuchte. Mit offenen Haaren und einem wundervollen Lächeln kam sie zurück und legte sich zu mir. Meine Finger spielten versonnen mit einer ihrer Haarsträhnen und bald schlief ich ein.

 

Der neue Tag begann mit stürmischem Schneetreiben, wobei der Wind an den Fenstern rüttelte und die gläsernen Scheiben klirren ließ. Ich kuschelte mich noch einmal an Linnarhan, um den Moment der Wärme und Geborgenheit auszukosten, bevor meine Verpflichtungen mich aus dem Bett trieben. Mit einem Kuss in den Nacken weckte ich die Elfin, die sich gähnend streckte. „Guten Morgen, liebster Zwerg. Müssen wir denn schon aufstehen?“, begrüßte sie mich neckend mit einem frechen Blick. Ich grinste zurück und entgegnete: „Ja, Liebste, das Treffen mit den hohen Herren steht an. Ich bin gespannt darauf, was es bringen wird. Nach dem Frühstück machen wir uns auf den Weg.“ Am Waschbecken, das die Form einer großen Muschel hatte, wusch ich mich, dann legte ich meine Kleidung für den Tag an.

 

Khûna saß bereits an dem Tisch, wo wir das Abendessen eingenommen hatten, und grüßte uns, als wir näher kamen. „Ich konnte vor Aufregung kaum schlafen. Der Durga mit den sechs Armen empfahl mir dieses heiße Getränk, das er ‚Kaffee‘ nannte, um in Schwung zu kommen. Es wird aus gemahlenen, gerösteten Kernen aufgebrüht. Die Wirkung des Getränks überrascht mich wirklich, denn ich fühle mich nun wacher.“, berichtete sie uns mit müden Augen. Bald kamen auch Foret und Pelok die Rampe herunter und gesellten sich zu uns. Wir alle bestellten bei der Bedienung einen solchen Kaffee, um die verbliebene Müdigkeit zu vertreiben. Das Frühstück fiel recht typisch für uns aus. Es bestand aus frischem Brot, süßen und herzhaften Aufstrichen und geräucherter Wurst. Man brachte uns auch frisches Obst und Gemüse, an dem wir uns gütlich taten. Linnarhan hielt sich an einem Kräuteraufguss und aß dazu eine Getreidemahlzeit, zu der Beerenobst gereicht wurde. Nach dem kräftigen Mahl zogen wir uns wetterfest an und verließen die noble Schänke.

 

Der Sturm hatte nachgelassen, doch in den Straßen von Sajranzizar türmte sich der frisch gefallene Schnee, den Golems mit großen Schiebern bereits wegräumten. Wir überquerten den Marktplatz und erreichten die Almadina, wo eine vertraute Gestalt uns bereits erwartete.

„Ohne euch lassen mich die Zwerge nicht ein, auch die Erwähnung deines Namens genügte nicht, Permoník.“, ließ sie mich unvermittelt wissen. Fröstelnd zog sie ihren Umhang fester um die Schultern. „Es tut mir leid, dass du warten musstest. Einen genauen Zeitpunkt hatten wir nicht vereinbart.“, entgegnete ich entschuldigend und sprach dann die Wache am Eingang an. Ich atmete kurz durch, straffte mich und sagte: „Wir sind zur Unterredung mit dem hohen Rat der Händlergilde hier. Bitte meldet Daril und seine Begleiter im Vorraum an.“ Der angesprochene Wächter nickte pflichtbewusst und ging hinein, um unsere Ankunft kundzutun. Beide Wachen öffneten einen Moment später die Türflügel weit und ließen uns ein. Im Inneren schlug uns die angenehme Wärme des Kaminfeuers entgegen und an der Empfangstheke stand derselbe Zwerg wie zuvor. Linnarhan und Hyrasha schaute er etwas abfällig an, aber er verzichtete auf jedwede Bemerkung. „Guten Morgen und willkommen, werte Herrschaften. Der hohe Rat der Händler hat sich bereits im Großen Saal zusammengefunden. Sobald die Herren die Organisation des Tagesgeschäfts abgeschlossen haben, dürft ihr eintreten.“, begrüßte er uns, wobei sein Blick auf mir haften blieb. Danach sprach er wieder in den Metalltrichter hinein, aus dem eine dumpfe Bestätigung erklang.

Ein Hausdiener in Livree kam die Treppe hinunter, um uns in Empfang zu nehmen. „Legt eure Mäntel gern dort ab.“, meinte er und zeigte auf ein Metallgestell, auf dem Kleiderbügel hingen. Ich hing meine Jacke auf, meine Gefährten taten es mir nach, dann folgten wir dem jungen Zwerg, der uns nach oben brachte und durch die große Tür führte, wo sich das pompöse Zimmer befand, in dem wir am Vortag mit den Händlern gesprochen hatten. „Bitte nehmt vorerst hier Platz. Ich hole euch, wenn die Herren es wünschen.“, bat er, dann verließ er leise das Zimmer.

 

„Wir sollten ihnen von den Entführten erzählen.“, meinte Pelok. Ich nickte langsam und schaute Foret an, der mit seinen Zähnen knirschte. Sein Vorschlag war: „Wir müssen den Händlern klarmachen, dass wir ihnen bei den Problemen mit dem Schattenkartell helfen können. Umso einfacher wird es, unsere Freunde dort herauszuholen.“ Wieder nickte ich und überdachte die Einwürfe. Auch Khûna hatte dazu etwas zu sagen: „Wenn das Kartell der Händlergilde solche Sorgen bereitet, sollten wir in Erfahrung bringen, worin diese bestehen.“ Nun beteiligte Hyrasha sich, die nun nicht mehr vor Kälte zitterte. „Das Schattenkartell stört die Geschäfte der Gilde, deshalb schotten sich die Zwerge immer mehr ab und lassen die Golems die Arbeit machen. Sie fühlen sich bedrängt, was sie dazu bringt, alles Fremde abzulehnen. Ich hatte mich in der Stadt umgehört, seitdem ich hier bin. Als vermeintlicher Mensch falle ich auf dem Basar nicht sehr auf.“, berichtete die Behüterin. Auch Linnarhan hatte Gedanken zu unserer Lage, die sie aussprach. „Die Ablehnung vor allem, was nicht zwergisch ist, muss tiefere Gründe haben. Ihr Zwerge wart schon immer Geheimniskrämer, aber sonst sehr umgänglich mit anderen Völkern. Ich werde die Herren danach befragen, wenn es recht ist.“, machte sie uns selbstbewusst klar. Ich nickte noch einmal, doch zu einer weiteren Äußerung kam ich nicht, denn der Hausdiener erschien und bat uns in den Großen Saal.

 

Nacheinander schritten wir durch die Tür. Ein langer, breiter Tisch nahm den größten Platz inmitten des imposanten Raumes ein. Wandteppiche und gemalte Bilder in Holzrahmen schmückten den Saal. An der Decke hing ein Lüster mit gelben Leuchtkristallen. Sieben, sehr vornehm gekleidete Zwerge saßen auf grün gepolsterten Stühlen und beobachteten, wie wir unsere Plätze einnahmen. Linnarhan und Hyrasha wurden vom Hausdiener die beiden Sitzkissen zu beiden Enden der Stuhlreihe zugewiesen. Foret und ich setzten uns auf die mittleren Stühle, Pelok und Khûna nahmen neben uns Platz. Die sieben Zwerge nickten uns zu, dann erhob sich der Herr in der Mitte. „Ich bin Wibog, der Ratsführer. Hegol, Graff und Lotz haben von dem gestrigen Treffen erzählt, was meine Neugier auf euch weckte. Willkommen in Sajranzizar, dem Großen Basar.“, begrüßte uns der weißhaarige Mann, der einen gestutzten Kinnbart trug. Die Behüterin und die Elfin würdigte er dabei keines Blickes.

Danach stellten sich die drei weiteren Mitglieder des Rates mit Namen vor. Egerd verbeugte sich leicht vor uns, wobei seine Halbglatze, umsäumt von rotem Haar, im Schein des Kronleuchters glänzte. Er war mit einem Samtjackett bekleidet, den Halsausschnitt zierte ein kunstvoll gefalteter Spitzenkragen.

Sein Nebenmann namens Kagil wirkte groß für einen Zwerg, sein volles braunes Haar bildete am Hinterkopf einen dicken Zopf, auch sein voluminöser Bart war geflochten. Als letzter folgte Imus, der sich uns vorstellte. Er war ein recht jung anmutender Zwerg mit blonder Kurzhaarfrisur und einem Bart, der zu drei einzelnen Strähnen gebunden war, die kleine verzierte Perlen schmückten. „Es freut mich, eure Bekanntschaft zu machen.“, sagte er offen, wobei er die gesamte Gruppe in Augenschein nahm. Dann war es an mir, mich und meine Gefährten vorzustellen. „Ich bin Daril, der Sohn Redins. Meine Begleiter sind Linnarhan, Hyrasha, Khûna, Pelok und Foret.“, sagte ich, wobei sich jede genannte Person kurz erhob. Die Reihenfolge hatte ich absichtlich so gewählt, um den Herren klarzumachen, dass die beiden Frauen ohne Abstriche zu uns gehörten.

 

Die Vorstellungsrunde war damit abgeschlossen und Wibog wandte sich an mich. „Ihr wollt also die Stadt der Ahnen mit neuem Leben füllen, Herr Daril? Meint ihr, dass dieses Vorhaben nach all der Zeit eine gute Sache ist? Ich bin skeptisch.“, stellte der oberste Ratsherr seine kritischen Fragen. Ich nickte und entgegnete: „Es ist das, was mir damals aufgetragen wurde, als Takal Dûm evakuiert wurde. Diese Mission will ich aus Überzeugung zu einem guten Ende führen. Mit Bedauern stellten wir gestern fest, dass die Händlergilde nicht mehr ganz an den alten Werten unseres Volkes festhält. Wir haben dahingehend nachgeforscht und haben herausgefunden, dass es Probleme in der Stadt gibt. Wir wollen euch behilflich sein, gegen das Schattenkartell vorzugehen.“ Die sieben Ratsherren erstarrten bei meinen Worten und sahen mich mit erschrocken geweiteten Augen an. Graff brachte sich zuerst wieder unter Kontrolle und reagierte auf meine Direktheit. „Ihr habt euch also informiert. Ja, das Kartell setzt uns zu, das streite ich nicht ab.“, gab er mit seiner knurrenden Stimme widerwillig zu. Imus nickte bekümmert und richtete jammernd das Wort an uns. „Die dunklen Wesen des Schattenkartells drangen vor etwa einer Generation in unsere Domäne ein und begannen unseren Geschäftspartnern einzuflüstern, dass es lukrativer wäre, mit ihnen statt mit uns zu handeln. Damit begann alles.“ Foret runzelte die Stirn und fragte nach: „Dunkle Wesen? Was meint Ihr damit?“ Darauf antwortete Egerd zitternd. „Unseren Erkenntnissen nach handelt es sich um Orks und Vampire, die das Kartell betreiben. Ihre Handlanger sind Untote, Goblins und verschiedene Händler, die sie für sich gewinnen konnten.“, erklärte der rothaarige Zwerg. Konkreter wurde Hegol: „Seitdem sie ihre Macht ausbauen, sind wir vorsichtiger geworden. Wir können niemandem von außerhalb mehr trauen, da das Kartell die köpfe ihrer Verbündeten verdreht. Bei unserem Volk war das bisher nicht passiert, weshalb wir euch mit offenen Armen empfangen haben.“

Linnarhan lachte trocken. „Mit offenen Armen, ja? Das kenne ich anders. Wir haben dennoch beschlossen, euch zu helfen.“, machte sie eindeutig klar und setzte fort: „Weil ich eine Elfin bin und Hyrasha wie ein Mensch aussieht, habt ihr aus eurer Angst heraus Vorurteile gegen uns? Das hilft doch niemandem. Habt ihr nie daran gedacht, selbst gegen das Kartell vorzugehen?“

Imus erschrak vor der resoluten Elfin, sodass er betroffen vor sich hin starrte, auch die anderen Händler wirkten wie vor den Kopf gestoßen. Der Anführer des Rates gewann seine Fassung zurück und versuchte Ordnung in das Gespräch zu bringen: „Wir setzen die Golems ein, um wenigstens in der Stadt für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Unsere Vorväter hatten damals den Handelsposten im Sinne des Großen Marktes von Takal Dûm errichtet, wo alle Völker willkommen waren. Als die dunklen Gestalten zum Basar kamen, versuchten wir auch sie gewähren zu lassen. Das erwies sich im Nachhinein als Fehler, da sie ihr Kartell aufbauten und unsere Autorität zunehmend untergruben. Wir zogen uns aus der Öffentlichkeit zurück und ließen unsere Wachen mit den Golems unser Hausrecht durchsetzen.“ Wibog wirkte etwa kleinlaut dabei, doch war die Reaktion der Zwerge auf die neue Situation nachvollziehbar. Ich dachte angestrengt nach, wie wir die Händlergilde genau unterstützen sollten.

 

Foret kam mir dabei zuvor. „Wir wissen, dass das Schattenkartell Freunde von uns festhält, die wir befreien wollen. Wenn wir dabei von euch einige Leute zur Seite gestellt bekämen, könnten wir womöglich gemeinsam diese Organisation zerschlagen und uns allen wäre geholfen. Was haltet ihr davon?“, platzte es förmlich aus ihm heraus. Die hohen Herren warfen sich nachdenkliche Blicke zu, dann nickten sie einvernehmlich. Der Vorschlag schien für die Händler nach einem lohnenden Geschäft zu klingen, denn sie erhoben sich und willigten ein. „Falls es euch gelingt, dem Schattenkartell einen harten Schlag zu versetzen, stünden wir für ewig in eurer Schuld.“, meinte Kagil, der sich überzeugt zeigte. Lotz nickte und sagte uns die volle Unterstützung zu, indem er versprach: „Ihr bekommt vier Golems und zwei der besten Wachleute für den Vorstoß. Wir zählen auf euch.“ Alle nickten einstimmig und Wibog beendete die Sitzung. „Danke, dass ihr uns die Augen geöffnet und eure Hilfe angeboten habt. Trefft euch mit Graff heute Nachmittag vor der Almadina, damit ihr mit den Wachmännern euer Vorhaben durchsprechen könnt.“, verabschiedete er uns aus dem Saal. Der Hausdiener war sofort zur Stelle und brachte uns hinunter ins Foyer, wo wir unsere warmen Mäntel wieder anzogen. Für Hyrasha erbat ich von dem Angestellten am Empfang eine Jacke, damit sie nicht wieder frieren musste. Widerwillig ging er zu einer kleinen Tür an der Seite seines Tresens und kramte in einem Kleiderfundus, bis er etwas passendes gefunden hatte. Er reichte mit eine rote Strickjacke, in die ich der Behüterin hineinhalf. Sie passte halbwegs, obwohl sie etwas zu kurz geraten war.

 

Draußen auf dem Basar schien uns die Sonne hell entgegen, der meiste Schnee war bereits weggeräumt worden, doch auf dem Topfpflanzen und den Gebäuden glitzerten Eiskristalle, die das Licht in Regenbogenfarben brachen. Auf dem Markt herrschte wieder reges Treiben und unterschiedlichste Gerüche wurden von einem leichten Wind herangetragen. „Wollen wir uns umsehen und vielleicht an einem Stand etwas essen? Es ist bereits Mittagszeit.“, schlug Khûna vor. Alle waren einverstanden und wir zogen geschlossen über den bunten Basar.

 

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