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45. Durch Wasser und Fels

Ein bearbeitete physische Karte von Europa, auf der die Zwergenstädte aus "Der Zwerg aus dem Ei" zu finden sind.
Wo liegen eigentlich die Städte der Zwerge? Die schwarzen Linien zeigen den Verlauf der unterirdischen Bahnanlage.

Die veränderten Lichtverhältnisse behinderten für einige Augenblicke meine Sicht. Auch wenn sich der Grad der Helligkeit kaum vom Licht der Oberwelt unterschied, wirkte das Glühen in der unterirdischen Anlage ganz anders auf mich.

Vorsichtig trat ich auf die Stufen, die abwärts führten. Der Treppengang wurde von einem Gewölbe umschlossen, das keinen Platz ließ, nebeneinander zu gehen, doch auch im Gänsemarsch kamen wir gut voran. Die Lichtgestaltung war hier ungewöhnlich, denn in dem polierten Felstunnel zogen sich auf beiden Seiten leuchtende Ornamente durch das Gestein. Links glühte es in einem rötlichen Ton in Form von zwei parallelen Linien aus der Wand, auf der rechten Seite strahlte uns das helle Grün einer Pflanzenranke entgegen.

Nach mehreren Schritten hörte ich, wie die Steinplatte der Tür sich wieder mit kratzenden Geräuschen nach oben schob und den Zugang verschloss.

 

Ich machte mir Gedanken, ob die gesamte Gruppe hinter mir war: „Sind alle da? Jeder sagt nacheinander seinen Namen, ich beginne.“ Nach einem kurzen Moment fing ich an. „Daril.“ Hinter mir hörte ich: „Linnarhan.“ Ihre Stimme klang etwas unsicher, dann folgte von weiter oben ein kräftiges „Pelok.“ „Khûna“ ließ nicht lange auf sich warten, aber sie musste schon lauter sprechen, damit ich sie gut hören konnte. Foret sollte demnach am Ende der Reihe stehen. Mit etwas Verzögerung meldete auch er sich mit Namen, dem ein lauter Ausdruck des Missfallens folgte. „Ezashu kakhâf!“, rief er über unsere Köpfe hinweg. Ich wunderte mich was ihn zu diesem unflätigen Ausruf veranlasst hatte und drehte mich um. „Was ist passiert?“, fragte ich den Gang hinauf. Plötzlich vernahm ich Khûnas lautes Lachen. „Sag es nicht!“, fuhr er die junge Frau an. „Nicht schlimm, nur ärgerlich. Die Tür hat mein Bündel mit dem Proviant eingeklemmt und zerrissen.“, kam es kleinlaut von meinem Freund. „Die Hose hats ihm dabei ausgezogen und sein Essen liegt verstreut auf der Treppe“, rief unser Neuzugang und lachte noch einmal.

Pelok hatte einen leeren Rucksack zur Hand und reichte ihn nach hinten durch. Khûna half ihrem älteren Kameraden beim Einsammeln der Lebensmittel, amüsierte sich aber immer noch. Den beschädigten Gürtel ersetzte Foret kurzerhand durch ein Stück Seil. Nach dieser erheiternden Verzögerung stiegen wir weiter hinab.

 

Ein großer Raum eröffnete sich uns am Fuß der Treppe. Das zweifarbige Licht verströmte eine mystische Stimmung und erhellte dabei einen vertrauten Umriss.

Die Runen am Markierungsstein funkelten silbrig, ganz im Gegensatz zur Umgebungsbeleuchtung. Wir Zwerge nahmen an den vier Seiten die Schriftzüge in Augenschein.

 

„Die Magie des Lebens ist ewig.“, las Pelok vor.

„Jedes Element steht allein, kann doch ohne die anderen nicht sein.“, kam von Khûna.

„Der Keim des Lebens wohnt zwischen den Elementen“, sprach Foret.

„Werdet eins und seht!“, stand auf den Runen, die ich vorlas.

 

„Dazu sehe ich das Symbol für Feuer über der Inschrift.“, bemerkte Pelok. Reihum bestätigten wir, dass auch die Zeichen für Erde, Wasser und Luft vorhanden waren. Linnarhan hatte uns beobachtet und teilte uns ihre Gedanken mit: „Ich schlage vor, dass ihr alle gemeinsam eure Hände auf die Symbole der Elemente legt. Mal sehen, ob etwas passiert.“ Mit ihrem Vorschlag waren wir einverstanden und setzten ihn ohne zu zögern um.

Der obere Teil des pyramidenförmigen Obelisken fuhr mit einem schabenden Geräusch herunter. Auf der Fläche, die sich vor uns bildete, lag eine große Kastanie, die aufplatzte und keimte. Wurzeln schoben sich in den Untergrund und ein Spross wuchs in die Höhe. Als würde für den jungen Setzling die Zeit vielfach schneller ablaufen, konnten wir unter großem Staunen seine Entwicklung zum Baum beobachten, der bald selbst Kastanienfrüchte trug und sein Laub abwarf, ehe er verdorrte und zu Staub zerfiel. Mit den neuen Kastanien begann der Zyklus von vorn, außer mit einer, die außerhalb des Podestes zum Liegen gekommen war. Ich steckte die Frucht mitsamt ihrer Schale in einen meiner kleinen Beutel, die an meinem Gürtel hingen. Vielleicht konnte sie mir irgendwann von Nutzen sein.

 

Khûna atmete schwer aus. „Das war unerwartet. Ich bin immer noch sehr beeindruckt von dem, was eben passiert ist.“, gestand sie. Langsam kehrte die Landmarke in ihre ursprüngliche Form zurück, was den rasanten Wuchs des nächsten Baumes stoppte. „Deine Vorfahren haben diese Säule mithilfe der Steinformer erbaut. In jeder neuen Zwergenstadt ist eine davon zu finden. In Takal Dûm gibt es sieben, im Stadtviertel jeder Gilde steht eine.“, erklärte Foret. Ich ergänzte: „Unsere Aufgabe ist es, alle Markierungen zu aktivieren und aus ihren Inschriften zu lernen.“ Alle nickten. Wir erkundeten die Halle und fanden einen Wegstein vor einem Abzweig, der zuoberst unseren Standort verriet. Danakh’abad. Nach links wies er uns den Weg zur Lorenbahn, die die Feuerhöhlen im Norden mit dem Handelsposten verband, den wir nun erreichen wollten. Der rechte Gang war mit Ubâr Dûm beschriftet. „Pelok, weißt du etwas über eine Bahnstation, die es bei dir zu Hause zu geben scheint?“, fragte ich den Jüngsten in der Runde. Er schüttelte nur unwissend den Kopf. „Nein, davon ist mir nichts bekannt.“, sagte er und zuckte dabei mit den Schultern. Ich wollte das gern herausfinden, doch dieses Vorhaben mussten wir auf unbestimmte Zeit verschieben.

Der Tunnel, der uns zu den Gleisen brachte, ähnelte dem Stufengang sehr. Wir konnten auch hier nur hintereinander gehen und das rote und grüne Licht in den Wänden wies uns immer noch die Richtung.

 

Immerhin verlief dieser Gang ebenerdig und mit wenigen Kurven, sodass wir bald den Bahnsteig mit der Bedienvorrichtung erreichten, der in einer natürlichen Höhle lag. Nur der Zugang, aus dem wir traten und die Station selbst bestanden aus bearbeitetem Material. Es roch feucht und wenn man genauer lauschte, konnte man das Rauschen von Wasser vernehmen. Kühle Luft zog durch die Kaverne. Die beiden Schienenstränge durchschnitten den Hohlraum.

Foret und ich wandten uns der Konsole zu, die unter seiner Berührung zu leuchten begann. „Was brauchen wir? Jede Lore hat Platz für zwei Personen ohne großes Gepäck, wir sind zu fünft. Vier Waggons sollten genügen. Drei zum Sitzen, einer für die Ausrüstung.“, überlegte Foret, wobei sein Bart mit dem bronzenen Schmuck bedächtig schwang. Ich stellte die Fahrtrichtung ein, während er die Loren auf das Gleis setzen ließ, die nacheinander aus den Depot rollten und krachend aufeinanderstießen.“Kommt, schieben wir sie zusammen.“, forderte ich Linnarhan, Pelok und Khûna auf, die mir dabei halfen, die Loren zu koppeln. Ein Federmechanismus erleichterte die Aufgabe und quittierte jeden Erfolg mit einem metallischen Klicken. Den dritten Wagen befüllten wir bis zum Rand mit unserer Habe, Pelok setzte sich in die zweite Lore, in die wir die restlichen Gepäckstücke legten. Der Starthebel war vom vordersten Waggon aus bequem zu erreichen, den Linnarhan und ich besetzten. Im hintersten Wagen nahmen Khûna und Foret Platz. Nun sollte es losgehen.

„Seid ihr alle bereit?“, fragte ich nach hinten gewandt. Als alle bestätigt hatten, löste ich den Hebel und der Zug rollte langsam an.

 

Das zuvor von mir bemerkte Rauschen kam von einem Wasserlauf, dem wir und näherten. Linnarhan saß hinter mir in der Lore und hielt ihre Hand in das kühle Nass. „Salzig wie Meerwasser.“, sagte sie. Diese Höhle war demnach eher eine Grotte, die einen Zugang zur Nordsee hatte, vermutete ich und nickte. Das Klappern der Waggons nahm zu, als wir schneller wurden und es leicht abwärts ging. Die Elfin hielt sich an mir fest, als wir in eine Kurve gingen. Plötzlich änderte sich das Licht zu einem Blau, wie ich es bisher nicht kannte. Über uns wich der dichte, dunkle Fels durchsichtigen, polierten Quarzkristallen, die das Licht der Oberwelt in den Bahntunnel brachten. Ein staunendes Raunen hörte ich von meinen Kameraden bei jenem überwältigenden Anblick, auch ich hielt mich nicht zurück. Ein weiteres Mal ging es ein Stück abwärts und wir ließen das Meerespanorama hinter uns, während das Tempo anzog.

 

Bis zu diesem Punkt waren die Bahntunnel noch in Schuss gewesen, doch nach einer Weile musste ich die rasante Fahrt abbremsen. Wasser stand auf den Schienen und es rauschte laut in der Nähe. Erneut fuhren wir unter einer durchsichtigen Decke entlang, die aber Risse aufwies, durch die es in den Tunnel hinein tropfte. Ich drosselte die Geschwindigkeit unseres Zuges noch ein wenig und zog am Bremshebel. Noch zogen uns Magie und Mechanik der Bahntrasse durch das Wasser, doch Angst mischte sich in meine Zuversicht. ‚Was passiert, wenn die Decke aus Quarz ganz einbricht?‘, fragte ich mich in Gedanken und beantwortete diese Frage sofort selbst: ‚Dann sollten wir bereit fort von dieser gefährlichen Stelle sein.‘ Noch stand das Meereswasser nicht zu hoch im Tunnel, sodass ich die Geschwindigkeit wieder ein wenig erhöhte. Das Tosen kam nun näher, wieder bremste ich ab. Eine Wand aus Quarz war eingebrochen, zum Glück befand sie sich neben uns und nicht über den Gleisen. Das Fenster aus Kristall hatte dem Druck wohl nicht standgehalten. Ein Schwall, gleich eines Wasserfalls ergoss sich in die Höhle hinein und drohte die Loren umzukippen. Doch es geschah nichts, nur die Lautstärke steigerte sich ins Unerträgliche, was mich die Luft anhalten ließ. Zwischen dem Durchbruch und den Schienen klaffte ein tiefes, breites Loch. Das hereinbrechende Wasser konnte so direkt abfließen und uns nicht gefährlich werden. Der Schreck saß tief in meinen Knochen, aber wir glitten an diesem verstörenden Ort vorbei in eine stabil wirkende Felsformation hinein. Ich ließ die Bahn eine Weile langsam rollen, bis ich meine Panik endlich überwunden hatte und tief durchatmete. Mein Herz schlug immer noch wie wild und es dauerte, bis sich es sich beruhigte.

 

Die restliche Strecke bot für Foret und mich wenig Neues, doch für unsere Begleiter war diese Lorenfahrt ein aufregendes Erlebnis. Sie bestaunten den Wechsel von Licht und unterirdischer Vegetation. An manchen Stellen wuchsen riesenhafte Pilze, Höhlenbeeren sahen wir an helleren, poröseren Gesteinen, die das nötige Wasser gut speichern konnten. Die Schienen folgten lange Zeit einem ruhigen Wasserlauf. In der klaren Flüssigkeit schwammen Molche, die mich an die Begegnung mit den aggressiven Wesen auf dem Weg zu den Kallâ Atâr erinnerten.

 

Irgendwann hielt unser Zug in einer hell erleuchteten Station selbsttätig an, indem wir auf einem Prellbock aufliefen. Wir wurden ein wenig durchgeschüttelt, aber alle blieben wohlauf. Ich zog die Bremse an, kletterte aus der Lore und betätigte am Bahnsteig den Konterhebel. Nun konnten alle Reisenden aussteigen und ihre Habseligkeiten wieder aufnehmen. Linnarhan schloss mich wortlos in ihre Arme, wobei mit einem tiefen Atemzug alle Anspannung von mir abfiel. Ihr schien es ähnlich zu ergehen.

 

Foret ging mit Pelok und Khûna zur Konsole und ließ die Loren vom Gleis holen. Ratternd wurden die Waggons von der Mechanik in ihr Depot gezogen.

Links neben der großen Bedieneinheit führte eine ins Gestein gehauene Treppe nach oben, vor der wir uns aufstellten. Die Luft roch trocken und nach Steinstaub. Ich ging wieder voraus, betrat die unterste Stufe und ging den langen Aufgang hoch, dessen Ende von einer Tür verschlossen war. Ein Schriftzug aus zwergischen Runen verriet uns, wo wir angekommen waren. Sajranzizar.

 

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