Feuchter Nebel empfing uns, der so dicht war, dass wir stehen bleiben mussten. Eine Orientierung war uns unmöglich. „Wo sind wir nur gelandet, Daril?“, fragte Pelok erschrocken. Ich drehte mich zu ihm um und zuckte unwissend mit den Schultern, wobei ich noch mitbekam, wie das hellgrüne Glühen des Portals verschwand. Wir standen auf fest getretenem Kies, der einen Pfad zu bilden schien, doch die schlechte Sicht ließ mich nicht viel erkennen. Ich ging die paar Schritte zurück, trat neben Pelok und versuchte festzustellen, ob wir über denselben Weg auch wieder zurück nach Reinsdorf gelangen konnten. Vor mir ragte ein riesiger Stein in die Höhe, der doppelt so breit wie ich war und mindestens viermal so hoch. Eine Gravur oder dergleichen konnte ich nicht ausmachen, aber mein Zirkon zauberte feine leuchtende Linien auf seine Oberfläche, als ich ihn nah an den Monolithen hielt.
Foret beobachtete mich und räusperte sich, als ich den Edelstein wieder in meinem Beutel verstaute: „Was denkst du, sollten wir tun? Blind durch diese unbekannte Gegend zu laufen, halte ich nicht für sinnvoll.“ Ich nickte und Pelok tat es mir gleich. „Suchen wir uns in der Nähe einen Unterschlupf und warten, dass die Nebelsuppe sich irgendwann auflöst.“, schlug ich vor. Beide waren einverstanden. Erst folgten wir dem Kiespfad, der an weiteren großen Steinen vorbeiführte, aber nur einen weiten Kreis beschrieb. Wir wandten uns also nach rechts, hinunter vom Weg. Der Untergrund war bewachsen von niedrigem Gras, Moosen und kleinen krautigen Pflanzen.
Die feuchte Luft kroch nach und nach durch die Kleidung bis auf meine Haut. Es fühlte sich unangenehm an, doch das Wetter wollte sich einfach nicht ändern. Ich war wirklich froh, als wir nach einem kurzen Marsch auf eine Gruppe Nadelbäume trafen, die uns etwas Schutz bot. Wir ließen uns unter den Bäumen nieder und warteten ab. Irgendwann musste die Sonne doch gegen den feuchten Schleier gewinnen. Die letzte Nacht, die zu wenig Schlaf enthalten hatte, zollte bald ihren Tribut und einem Zwerg nach dem anderen fielen die Augen zu.
Murmelnde Stimmen drangen an meine Ohren und holten mich langsam aus meinem Schlummer. Die Bäume spendeten Schatten, doch es schien mittlerweile die Sonne vom leicht bewölkten Himmel. Das Geflüster stammte von drei hochgewachsenen, schlanken Gestalten, von denen eine einen kunstvoll geschnitzten Bogen in der rechten Hand hatte, dazu einen Köcher mit Pfeilen auf dem Rücken trug. Ihre Ohren liefen spitz zu und ihre feinen, glitzernden Haare fielen lang über die Schultern.
Noch machte ich mich nicht bemerkbar, hörte ihnen aber konzentriert zu und versuchte Worte zu erkennen. Außer „naug“ und „meldir“, die Entsprechungen zu „Zwerg“ und „Freund“, kam mir nichts bekannt vor. Nachdem sich die drei Elfen besprochen hatten, piekte mich einer von ihnen mit seinem Schwert in die Seite und gab mir zu verstehen, dass ich aufstehen sollte. Ich schrak auf und weckte dabei auch meine Kameraden, die ebenso unsanft ihren Träumen entrissen wurden. Der männliche Elf mit dem Schwert, der mich immer noch streng ansah, blaffte mich gebrochen auf Khuzdul an: „Igjijî, Khazâd!“ („Folgt, Zwerge!“) Noch etwas benebelt in den Köpfen rappelten wir uns auf, kramten unsere Sachen zusammen und trotteten den Dreien hinterher. Etwas Anderes blieb uns ja kaum übrig.
Foret tauschte mit Pelok und mir besorgte Blicke, während wir mehr vorwärts stolperten, als wir marschierten. Der Bogenschütze und der Schwertträger führten die ungleiche Gruppe an, den Abschluss bildete der dritte Elf. Sie war eine blonde Frau mit langem Zopf, die einen mit Schnitzereien versehenen Kampfstab führte. Die Kleidung der Spitzohren war sehr ähnlich und bestand aus einem feinen hellgrauen Stoff, über dem sie eine metallbesetzte Lederrüstung trugen. Ihre Füße steckten in knöchelhohen Wickelschuhen mit weicher und gleichzeitig fester Sohle, die ihre Schritte leise machten, aber dennoch reichlich Halt boten. Unsere schweren Lederschuhe dagegen, machten bei jedem Schritt Geräusche. Die Elfen verzogen ihre Gesichter, während wir uns unbeholfen durch die Büsche schlugen, sie sich aber leise und bedacht bewegten.
Der Nebel lichtete sich, als wir einen kleinen Wald erreichten. Zögerlich erreichten uns Sonnenstrahlen, die etwas Wärme spendeten. Der Anführer gebot mit einem Handzeichen allen anzuhalten. Wir kamen vor zwei ineinander verschlungenen jung wirkenden Bäumen mit hellbrauner Rinde zum Stehen, an die der Elf mit dem Schwert seine linke Hand legte. Die dünnen Stämme drehten sich auf und bildeten eine Pforte. Der Bogenschütze ging nun voran und trat hindurch, wir folgten. Es war anders als beim Eintritt in die Enklave der Elfen, die Foret und ich in Russland entdeckten, wo wir Haldor und Linnarhan kennengelernt hatten. Ich fühlte beim Durchgehen keinen Widerstand und die Umgebung änderte sich nicht. Der Anführer verschloss die Pforte wieder, nachdem auch er sie passiert hatte. Kaum war das geschehen, nahm ich eine Veränderung bei den Elfen wahr. Sie wirkten erheblich entspannter, selbst der Bogenschütze lächelte. Mit freundlicher Geste forderten sie uns nun auf, mit ihnen zu kommen.
Vom Eingang aus zeigte ein ausgetretener Pfad die Richtung an. Die drei Elfen eilten voraus, wir drei Zwerge folgten dem Weg in unserem Tempo. Hinter einer Reihe Bäume endete der Wald abrupt und ein weites Tal mit weißen Gebäuden zog unsere Blicke auf sich. Der Pfad wand sich abwärts zu der Stadt hin, ein Stück weiter vorn sahen wir unsere Begleiter.
Bald erreichten auch Pelok, Foret und ich die Siedlung, die wir zögernd betraten. Die Eingänge der Wohnhäuser waren halb in den Felsen eingelassen und zeigten an den Fassaden elfische Ornamente. Weitläufige Treppen leiteten uns abwärts ins Tal. Die Mitte des Talkessels dominierte ein hoher schmaler Turm mit einer kuppelartigen Spitze. Den Turm umschloss ein großzügiger Platz mit einem Pflaster, das Muster aus weißen und grauen Steinen aufwies. Die Wege wirkten leer, die Stadt war ruhig, vom milchigen Himmel konnte man die Sonne erahnen, während wir den Stufen folgten, bis wir den Turm erreichten, wo uns vier Gestalten in Begleitung unserer Eskorte erwarteten.
Zwei Elfen und zwei Zwerge begrüßten uns mit einer leichten Verbeugung, als wir nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt waren. Alle vier Personen trugen ähnliche Roben, die aus feinem braunen Stoff gewebt und mit einem grünen Rankenmuster bestickt waren. Die weiten Kapuzen lagen auf ihren Nacken und zeigten die freundlichen Gesichter. „Shamukh Khazâd. Wir haben euch erwartet.“, begrüßte uns die Zwergin. Ihr langes dunkelblondes Haar war in zwei Strängen geflochten, die zu beiden Seiten nahe ihrer Ohren aufgerollt eine Art Dutt formten. Der Elf mit nachtblauem Haar, in dem es wie von tausend Sternen glitzerte, der neben ihr stand, lud uns mit einer weiten Handbewegung ein, den Turm zu betreten. Auch er sprach Khuzdul, wie die Zwergin es getan hatte. „Wir sind der Rat der Grünen Berge. In unserer Sprache nennen wir die Stadt Amon Calen.“, begrüße er uns, während sie uns zu viert hinein begleiteten. Innen maß der Turm gute sechzig Schritt im Rund. Jenseits des Eingangs nahmen die Angehörigen des Rates an einem geschwungenen Tisch Platz, ihnen gegenüber stand eine Bank mit bequemen Polstern, auf die wir uns setzten. Rechts und links des Zugangs strebten Treppen in die Höhe.
Als wir saßen, stellten sich die Elfen und Zwerge uns vor. Die Elfin hatte tiefe grüne Augen, die meinen prüfenden Blick erwiderten, ihr langes braunes Haar wurde von einer metallenen Spange zu einem Pferdeschwanz zusammengehalten. „Auch ich grüße euch, werte Zwerge. Man nennt mich Odiel. Es ist einige Zeit her, aber uns wurde berichtet, dass reisende Zwerge unterwegs seien, die Steingeborenen wieder zu vereinen. Jeden Tag schickten wir eine Patrouille zum Steinkreis, die nach Ungewöhnlichem Ausschau halten sollte.“, erzählte sie ohne Umschweife. Der Zwerg neben ihr hatte einen haarlosen Kopf und trug einen rötlichen Vollbart, der mit Moos bewachsen zu sein schien. „Willkommen in den Grünen Bergen, Freunde. Ich bin Dorik. Gemeinsam mit den Elfen haben wir diese schöne Stadt gebaut, geschützt vor den Augen der Menschen. Wir sind die Druiden, die ihr gesucht habt.“ Nun ergriff die Zwergin erneut das Wort: „Filoscha bin ich, Druidin der Erze.“ Der Elf mit dem dunklen Haar nannte nun auch seinen Namen. „Elengruin. Ich sehe Fragen in euren Gesichtern. Wir antworten euch gern.“, sagte er.
Foret nahm ihn direkt beim Wort: „Ja, ich habe Fragen. Woher wusstet ihr, dass wir euch aufsuchen würden? Was für Elfen seid ihr? Die Ersten der Enklave, die Daril und ich vor einigen Jahren gefunden hatten, sagten, dass sie die einzigen Elfen ‚diesseits des großen Eises‘ wären.“, polterte mein Freund an die Elfen gerichtet los. Odiel und Elengruin übten Nachsicht mit ihm und antworteten mit ruhigem Ton. „Es ist lange her, dass wir uns von der Enklave der Ersten trennten. Zu jener Zeit überzog ein langer Winter den Kontinent. Unstimmigkeiten mit den Ersten spalteten die Gemeinschaft und wir verließen unsere Heimat in Richtung Westen. Über Jahre durchstreiften wir die winterliche Ödnis, bis wir auf die heimatlosen Zwerge trafen und gemeinsam weiterzogen.“, begann der Mann zu erzählen. Odiel setzte fort: „Wir überquerten das Meer und fanden hier eine neue Heimat. Zusammen errichteten wir die Stadt der Grünen Berge. Sporadisch suchten wir Kontakt zu unserem Volk im Osten und beschlossen, trotz unserer Differenzen, im Austausch zu bleiben. Auch wenn es das Eis nicht mehr gibt, umschreibt es die Umstände unserer räumlichen Trennung gut.“
Foret zeigte sich zufrieden mit den Erklärungen und nickte. Mit großem Interesse folgte Pelok den Gesprächen, er äußerte sich aber nicht. Die Zwergin ergriff nun das Wort. „Ein Bote der Ersten erreichte uns vor einigen Jahren, der von eurem Besuch in der Enklave berichtete. Auch von eurem Vorhaben, die Clans zusammenzuführen, erzählte er uns. Nach den Fragen zu urteilen, seid ihr wirklich Foret und Daril, auch wenn ihr bisher keine Gelegenheit hattet, eure Namen zu nennen.“, verblüffte Filoscha uns mit ihrem Wissen. Auch Dorik ließ es sich nicht nehmen, etwas zum Gespräch beizusteuern: „Der Bote reiste nicht allein. Seine Begleitung erzählte uns alles Wichtige über euch. Sie wird jeden Moment hier sein.“ Auch wenn der Zwerg nicht konkret wurde, fühlte ich mein Herz mit einem Mal schneller schlagen. Odiel wies mit einer Hand zum Turmeingang, woraufhin ich mich umdrehte.
Da stand sie. Ebenso schön und anmutig, wie ich sie in Erinnerung hatte. Linnarhan.
Sie lächelte mich direkt an und ich glaubte, eine Träne der Freude zu sehen, die sich aus ihren glitzernden Augen löste. Ihr dunkelblondes langes Haar fiel offen über ihre Schultern. Ich bekam kein Wort heraus, so überwältigt war ich, sie vor mir stehen zu sehen. Doch ich erhob mich von meinem Platz und ging auf sie zu. „Ich wusste, du würdest kommen.“, sprach sie zu mir in Khuzdul mit leichtem Akzent und breitete ihre Arme aus. Ich schritt an sie heran und drückte sie an mich. Linnarhan erwiderte die Umarmung und drückte mir einen sanften Kuss auf das lichter werdende Haupt. Nie fühlte ich mich glücklicher in meinem Leben.
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