Es dauerte nicht allzu lange, bis wir unsere Unterkunft erreichten. Ich wusch mich und zog mir frische Sachen an. Als ich bereit war, wartete ich kurz im Vorraum auf Foret, damit wir gemeinsam zum abendlichen Treffen mit den Ältesten gehen konnten. Den Speisesaal neben dem Ratsgebäude fanden wir schnell wieder. Man erwartete uns bereits und an der Tafel der Ratsherren hatten sie uns zwei Plätze reserviert. Kaum dass wir saßen, brachte eine Bedienung uns prompt je einen Krug voll Bier. Genussvoll stillten wir unseren Durst mit dem dunklen, süffigen Gebräu. Amüsiert meldete Kulo sich zu Wort: „Scheint, als hattet ihr den Schluck gut brauchen können. Ich hörte, dass ihr heute gute Arbeit geleistet habt. Larik und Brog waren voll des Lobes über euch. Fleißige Leute seid ihr.“ Ein zustimmendes Raunen fuhr durch den Raum und erfüllte mich mit Stolz. Eine Bedienstete kam mit dem Essen zur Tafel und stellte vor mir einen großen, voll beladenen Teller ab. Es dampfte noch und duftete köstlich nach Kürbis und Speck, dazu gab es reichlich Rosenkohl und eine große gebratene Wurst. Maslîn, der Meister der Köche, wünschte uns einen guten Appetit, woraufhin wir gemeinschaftlich mit dem Essen begannen.
Es war vorzüglich, wie ich es nicht anders erwartet hatte. Ich musste mich sehr zurückhalten, um nicht alles gleich hinunter zu schlingen. Geschirr und Besteck klapperten geschäftig im gesamten Speisesaal, ansonsten war kein anderer Laut zu hören. Uzâdín der Älteste der Metzger beendete schmatzend sein Mahl und setzte zu reden an: „Wir sind die dritte Generation von Ubâr Dûm. Leicht war es uns nie gefallen, hier zu leben, doch der Zusammenhalt unseres Clans brachte uns dorthin, wo wir uns heute finden. Die Steinhauer trieben Stollen und Tunnel durch die Erde, die unsere Ahnen hierher in dieses schöne Gebirge brachten. Reich an gehaltvollem Boden und Metallen konnten wir hier über all die Zeit ein ruhiges Leben führen. Es ist gut zu wissen, dass unsere Brüder immer noch dort draußen sind und den Kontakt zu uns suchen. Wir wussten nicht, wohin überall es unser Volk hin verschlagen hat. Außerdem waren wir mit dem Aufbau unserer wundervollen Stadt vollauf beschäftigt, um uns solche Gedanken zu machen. Umso glücklicher sind wir, dass ihr den Weg zu uns gefunden habt, sei es durch die Tunnel oder über Land. Nachdem ihr bei uns eingetroffen wart, studierte ich die Schriften unserer Chronisten, welche die Besiedlung dieser Hallen akribisch beschreiben. Der alte große Speisesaal, der heutzutage der Essensschlacht der Goblins vorbehalten ist, war unser erster Versuch hier Fuß zu fassen, der leider, oder auch zum Glück, nicht von Erfolg gekrönt war. Als wir dann später diese wundervolle Höhle entdeckten, stand der Errichtung unserer neuen Heimat nicht mehr im Wege. Ihr konntet euch heute bereits davon persönlich überzeugen, was wir aufbauen konnten. Die gesamte Gemeinschaft der Ernährer ist stolz auf die Errungenschaften.“ Ich nickte dem glatzköpfigen Alten zu. „Ich bin immer noch sehr beeindruckt von allem, was ich heute gesehen habe. Seien es die Lichtschächte oder das Bewässerungssystem und auch die hängenden Transportkörbe. Nirgendwo sonst waren wir bisher auf Ähnliches gestoßen. Ihr habt meisterhaftes geleistet!“, lobte ich ehrlich den Erfindungsgeist des Clans.
Die vor mir sitzenden Ältesten strahlten mich förmlich an und nickten dankbar. Salis, der Älteste der Pilzhüter, richtete nun das Wort an uns: „Was uns schlussendlich bewog, hier zu bleiben war die schiere Fülle an unterschiedlichsten Pilzen, die es in diesem kleinen Gebirge gibt. Meine Großmutter erzählte mir oft, wie sie hier ankamen und die Oberwelt betraten, um nach Pilzen zu suchen. Fast das ganze Jahr über konnte man hier welche finden. Es dauerte also nicht lange, bis wir begannen, sie gemeinsam mit den von uns mitgebrachten Sporen in unseren Pilzgärten zu kultivieren. Unsere Ausbeute an Pilzfruchtkörpern kann sich heutzutage wirklich sehen lassen! Ich freue mich schon, wenn ich euch beiden morgen in meinem Bereich alles zeigen darf.“ Seine blonde Mähne schwang wild als er so voller Enthusiasmus erzählte. „Wir werden morgen pünktlich zur Stelle sein, Zirak Salis. Eure Pilzgärten haben bei uns schon großes Interesse geweckt.“, versicherte Foret auch in meinem Namen.
Nach und nach wurden nun die geleerten Teller abgeräumt und dann wurde für reichlich Nachschub an Met und Bier gesorgt. Satt und leicht angetrunken machten Foret und ich uns zurück in unser aktuelles Zuhause. Ich wusch mich noch kurz und legte mich bald darauf schlafen.
Das Ende der Nacht kam ebenso plötzlich wie am vorigen Tag. Pelok weckte uns beide mit einem sehr gut gelaunten „Guten Morgen, Freunde!“. Er drängte uns, fertig zu werden. Nach einem kurzen Frühstück machten wir uns auf den Weg zu den Pilzgärten, deren Zugang auf der gegenüberliegenden Seite der Stadt lag. Auch hier wand sich eine Rampe aufwärts und das Rumpeln der Hängebahn dröhnte uns unüberhörbar entgegen.
Frachtkörbe sausten an der Decke entlang durch das spärlich von leuchtenden Mineralien und fluoreszierendem Myzel erhellte Halbdunkel. Selbst der ausgetretene Pfad glühte in gelblichen, grünen und blauen Farbtönen und schien aufzuflackern, wenn man einen Schritt vorwärts tat. Pelok hüpfte gar über das Gestein und rief immer neue Farbenspiele hervor. Zögernd tat Foret es ihm nach und zog eine bunte Spur aus Licht hinter sich im Felsboden her. Ich schlurfte neugierigen Blickes den Weg entlang und konnte mich nicht an dem Schauspiel von Licht und Farben sattsehen. An die dämmrigen Verhältnisse gewöhnte ich mich schnell, doch die Faszination an der Umgebung ließ mich nicht los. Ich stieß gegen Foret, weil meine Gedanken sich in der Ferne verloren hatten.
Die Luft roch etwas moderig, als ich meine Sinne wieder geordnet hatte und ich wahrnahm, dass Salis vor uns stand. Die hagere Gestalt mit der wilden Mähne begrüßte uns herzlich, doch mit gedämpfter Stimme: “Willkommen Freunde! Schön, dass ihr mich rechtzeitig erreicht habt. In Kürze beginnt die heutige Ernte, ihr werdet beim Verladen helfen.“ Mit einer Geste lud er uns ein, ihm zu folgen. Der Duft nach Laub und Baumrinde, die sich allmählich in fruchtbare Erde verwandelten, verstärkte sich. Dazu gesellte sich die Würze verschiedener Pilzgattungen. Für Zwerge eine Wonne, für Menschen sicher ein wenig angenehmer Sinneseindruck. Der Älteste brachte uns in eine einen ausgewaschenen Felsgang, von dem rechts und links mehrere Räume mit steinernen Hochbeeten abzweigten. Auch hier beleuchteten nur natürliche Quellen die Umgebung spärlich, aber ausreichend. Er brachte und zum zweiten Raum auf der linken Seite des Tunnels, wo zwei Zwerge bereits damit beschäftigt waren, die reifen Pilzkörper zu ernten. Salis räusperte sich. „Oh, Zirak Salis!“, grüßte einer der beiden den Meister seiner Gilde. Selbst in dessen dunklem Bart leuchteten grünlich dünne Fäden Myzel als sei er Teil des umfassenden Pilzgeflechtes. Der Pilzhüter deutete eine Verbeugung in unsere Richtung an. „Wie ich sehe habt ihr uns Hilfe mitgebracht. Ich freue mich sehr, unsere Gäste kennenzulernen. Mein Name ist Hobur, zur euren Diensten.“ Wir nickten zur Begrüßung. „Du wirst schon wissen, wie du die beiden beschäftigen kannst.“, sagte Salis, winkte kurz mit der linken Hand und ging seines Weges.
Hobur lachte leise. „Unser Meister hatte uns schon davon berichtet, dass wir heute Unterstützung bekommen würden. Über die letzten beiden Generationen haben wir es geschafft, die Erträge zu erhöhen und unsere Arbeitsweise zu verfeinern. Ihr werdet heute die geernteten Pilze zum Verladeplatz bringen.“, erklärte er sich und führte uns auf den Haupttunnel. Pelok verabschiedete sich nun auch und verließ uns. Foret und mir wurden zweirädrige Handkarren zugewiesen. Mein Freund sollte die Ernte aus den Kammern links des Tunnels anfahren, ich sollte mich um die andere Seite kümmern. Das hölzerne Transportgerät war einfach aufgebaut und bestand aus einer Achse, von der zwei Holme abgingen, die in Handgriffen endeten. Quer auf ihnen waren einige Reihen Bretter genagelt worden, deren Form passgenau einen der Hängekörbe der Seilbahn aufnehmen konnte.
Wir begannen in den vordersten Räumen des Pilzgartens mit dem Abtransport. In jedem stand bereits ein Korb bereit, der mithilfe einer Seilwinde auf den Karren gehievt wurde. Die dort arbeitenden Zwerge waren stets zur Stelle, sobald ich eine Kammer ansteuerte und eintrat. Am Verladepunkt verlief die Abgabe ebenso reibungslos, was den Fortschritt schnell sichtbar machte. Die Pilzhüter waren ein gut eingespieltes Ensemble, Foret und ich eine willkommene Entlastung, da wir die körperlich anstrengendere Arbeit zu leisten hatten. Nie waren mir so viele unterschiedliche Arten von Pilzen untergekommen: trichterförmige Pfifferlinge, Steinpilze mit dicken fleischigen Kappen, Morcheln, filigrane Krause Glucke, kugelige Boviste und einige mehr. Jeder Kammer war ein eigener Duft zu eigen, der sich danach richtete, welche Vorlieben die jeweiligen Pilze hatten. Wie draußen in den Wäldern gingen bestimmte Myzelien nur mit ausgewählten Hölzern eine Symbiose ein und bildeten dort Pilzkörper aus. Untereinander waren die Netzwerke der Pilzfasern dennoch verbunden, erklärten die Arbeiter. Die steinernen Tröge, in denen die Pilze gediehen, waren durchlässig und begünstigten das volle Wachstum ihres Inhaltes. Auch unterschieden sich die Lichtverhältnisse in den Räumen von einander. In einigen wurde sogar ein Tag-Nacht-Zyklus nachgeahmt, um den Ertrag zu begünstigen. Nie lernte ich so viel über die wichtigste Nahrung unseres Volkes als an jenem Tag, obwohl ich dachte schon Einiges darüber zu wissen.
Nach der Mittagspause rief uns Hobur zu sich. Sein wilder, von glühendem Myzel durchsetzter, Bart vibrierte als er redete. „Ihr seid schnell und ausdauernd, Khazâd. Ihr habt euer Soll bereits geschafft. Ihr könnt bis zum Feierabend bleiben und weiterhin helfen oder gehen und euch ausruhen, bis zum Abendessen gerufen wird.“, stellte er uns vor die Wahl. Foret und ich lachten nur und machten ihm klar, dass wir keine halben Sachen machten und bis zum Ende des Arbeitszyklus mit anpacken würden. Der Pilzhüter freute sich sichtlich und trug uns auf, für neuen Pilzgrund zu sorgen. Das bedeutete, in eine Kammer Rinde und morsche Teile von Birken zu bringen, einen anderen Raum mit Kiefernzapfen zu versorgen und Stücke verschiedener Holzgewächse auf anderen Beeten zu verteilen. Die Arbeiter unterstützten uns mit ihrer Fachkenntnis und erklärten das Zusammenspiel von Boden, Myzel und Pilzwachstum eingehender, während Foret und ich sie mit dem nötigen Material versorgten. Etwas unerwartet gesellte sich Hobur zu uns und verkündete den Feierabend. Er verabschiedete sich, dankte für unsere Hilfe und wünschte einen gemütlichen Heimweg.
Kaum war unsere Unterkunft in Sicht gekommen, sahen wir schon Pelok winken. „Ich wollte euch entgegenkommen, doch Hobur scheint euch früh genug gehen gelassen zu haben. Ihr hab noch reichlich Zeit, euch zu waschen und auszuruhen, ehe das gemeinsame Abendessen beginnt. Ich werde euch dann abholen.“, teilte der junge Zwerg uns mit.
In meinem Zimmer erstaunte mich, dass ich auch heute wieder saubere Wäsche in meinem Schrank vorfand. Nachdem ich mich erfrischt und neu angekleidet hatte, ging ich hinunter in den Gemeinschaftsraum, wo sich zwei mir unbekannte Zwerge aufhielten. Ich fragte sie frei heraus: „Kümmert ihr euch um unsere Habseligkeiten, wenn wir außer Haus sind?“ Die Frau mittleren Alters nickte mit einem Lächeln. „Ja, wir kümmern uns um eure Quartiere und die Speisesäle. Es ist unsere Aufgabe für das Wohl und die Zufriedenheit der Gemeinschaft zu sorgen. Wir sind Versorger. Unsere Pflicht ist es, die Stadt am Laufen zu halten.“, erklärte sie stolz. In Gedanken verglich ich ihren Stand mit dem Myzelium, das den Waldboden durchdringt und alle Lebewesen miteinander verbindet. „Ich danke euch.“, sagte ich und nickte beiden anerkennend zu. Der männliche Versorger bot mir einen Krug Met an, den ich nicht abschlagen konnte. „Mögt ihr Beerensaft in euren Krug?“, fragte er mich. Ich nickte erfreut und er mischte den Saft mit dem Honigwein, was ein hervorragendes Getränk ergab. Einige Zeit lang unterhielt ich mich mit den beiden, während sie ihrer Arbeit nachgingen, bis Pelok die Räumlichkeiten betrat. „Die Ältesten bitten zum Abendmahl, Daril. Ist Foret noch oben?“, verkündete er pflichtbewusst und rannte die Treppe hinauf, um meinen Begleiter zu holen. Gemeinsam gingen wir zum Speisesaal.
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