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35. Vom Pflügen und Säen

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Ein Weizenfeld

Das kuschelweiche Bett, in dem ich schlafen durfte, bescherte mir eine sehr angenehme Nacht. Viel zu früh wurde ich von Pelok wachgerüttelt. Als er sich sicher schien, dass ich aufstehen würde, ging er hinüber zu Foret und weckte auch ihn. Ich machte mich schnell frisch und wartete auf den Khazdith, der uns nach unten in den Aufenthaltsraum begleitete und beim Frühstück erzählte, was man mit uns vorhatte.

„Auch wenn ihr nun Gäste der Ältesten seid, habt ihr etwas zum Allgemeinwohl beizutragen. Ihr sollt unsere Leute und ihre tägliche Arbeit kennen lernen. Am Ende des Tages werdet ihr mit dem Rat gemeinsam essen und Bericht erstatten. Ich bin nun eine Art Aufpasser für euch. Machen wir das Beste daraus.“, berichtete der junge Zwerg. Ich nickte, während ich heißen Kräuteraufguss trank und Gebäck aß. „Einverstanden. Sag uns aber bitte, wenn wir besonders achtsam sein sollen. Es kann sein, dass eure Sitten sich von unseren unterscheiden.“, warf Foret ein. Pelok bestätigte die Bitte und drängte zum Aufbruch. „Wir beginnen bei den Gärtnern, die wir heute besuchen. Sie und die Pilzzüchter versorgen uns mit den Grundnahrungsmitteln. Morgen sind die Pilze dran. Den dritten Tag widmen wir den Viehhaltern und Metzgern. Am darauf folgenden Tag beschäftigen wir uns mit der vielfältigen Arbeit der Versorger. Die letzten drei Tage verbringen wir je bei den Köchen, in der Metbaude und in der Brauerei. Doch nun sollten wir uns auf den Weg machen. Brog wartet sicher schon auf euch.“ Wir räumten gemeinsam das Geschirr zusammen und stellten es hinter dem Tresen ab, dann verließen wir das Gebäude und hielten uns links.

 

Bald stiegen wir eine sich sanft aufwärts windende Rampe hinauf. Sie war bereit genug, dass ein Karren bequem Platz gehabt hätte. Pelok erklärte die für uns ungewöhnliche Architektur: „Die Wege innerhalb der Stadt sind so angelegt, dass die Transporte einfach die Innenstadt und alle anderen Sektoren erreichen können. Manche Verbindungen sind automatisiert und laufen über die Randbezirke. Das werdet ihr auch noch zu sehen bekommen.“ Ein sonores Poltern erklang aus der Richtung, in die wir unterwegs waren. Pelok verstand meinen interessierten Blick und zeigte nach oben, während er begann das Geräusch zu erläutern: „Unser Transportsystem. Wir hatten uns von den am Boden gebundenen Schienen abgewendet und hier hängende Körbe installiert, ähnlich einer Seilbahn, kombiniert mit einer Waage. Gleich könnt ihr einen Blick darauf werfen.“ Nach der letzten Windung der Rampe standen wir mit einem Male in einer lang gestreckten flachen Höhle, an deren Decke hängende Körbe in alle Richtungen ihre festgelegten Bahnen zogen und an den Wendepunkten ihre Fracht in bereitgestellte Handkarren selbsttätig entluden, woraufhin sie ihren Rückweg antraten, wohin auch immer dieser hinführte. Kaum war das geschehen, kam ein Arbeiter und tauschte die gefüllte durch eine leere Karre aus. Er hakte den zweirädrigen Behälter in eine Führungsschiene ein, die das Gut sicher die gewundene Rampe hinunter brachte. Die Transportwege waren in solch erstaunlichem Maße automatisiert worden, dass es Foret und mir schier den Atem verschlug. Eine technische und logistische Glanzleistung, wie wir sie bisher nie in Augenschein nehmen durften! Alles rappelte und ratterte hier gleichförmig, aber in einer kaum störenden Lautstärke, sodass die Geräusche schnell im Hintergrund verschwanden und dem Kopf Platz für die wichtigen Dinge ließen. Pelok grinste, als er uns so stehen sah. „Ich freue mich darüber, dass ihr unsere Errungenschaften zu würdigen wisst. Nun aber hurtig zu den Gärten, wir sind bereits spät dran.“, trieb er Foret und mich weiter, dabei zeigte er mit der linken Hand die Richtung an, in die es gehen sollte. In einiger Entfernung schien Sonnenlicht von draußen einzufallen und wir steuerten direkt darauf zu.

 

Bald erreichten wir die Öffnung, die wie ein breiter Schacht über uns in die Höhe ragte und das Licht in die Höhle ließ. Eine der Hängebahnen legte an der Wendestelle erst den leeren Frachtkorb ab und nahm einen gefüllten kurz danach auf, den sie von hier fort brachte. Mit einem Hebel wurde der angekommene Korb von einem Zwerg auf den Abholplatz umgelegt und wurde neu befüllt. Unter den Waren erkannte ich Rüben und Kohl. Nach getanem Werk grüßte uns der Arbeiter: „Shamukh Khazâd. Brog erwartet euch auf den Feldern.“ Wir bedankten uns für die Auskunft mit einem tiefen Nicken und folgten dem gepflasterten Pfad im Gänsemarsch. Pelok ging voran.

Es roch nach frischer gehaltvoller Erde und feuchter aromatischer Duft stieg mir gleichzeitig in die Nase. Links und rechts des Weges wechselte der Untergrund von Gestein zu Erdboden, der im indirekten Licht zu glitzern schien. Noch befanden wir uns am Grunde des Schachtes, von dem strahlenförmig lange Lichtschächte in sieben Richtungen seitlich und vor uns auffächerten, die flache Höhle ließen wir hinter uns im Dunkeln verschwinden. Foret schaute staunend in alle Richtungen. „Und die Menschen bekommen oben nichts davon mit? Ich finde es schon recht gewagt von euch, solch offensichtliche Spuren in der Landschaft zu hinterlassen.“, warf er skeptisch ein. Pelok grinste nur: „Brog wird es euch gleich erklären.“ Der Pfad aus Kopfsteinpflaster richtete sich genau nach dem mittleren Lichtschacht und brachte uns, meinem Gefühl nach, südlich voran. Es tat mir gut, den Sonnenschein auf mir zu spüren. Die Welt erschien so friedlich und das Grün auf beiden Seiten des Weges zeigte mir, dass diese Zwerge ihr Handwerk gut verstanden.

Unterschiedliche Pflanzen wechselten sich ab, bis wir am Rand der Anlage angelangt waren, wo der Älteste mit einem breiten Grinsen zu uns sah. „Willkommen junge Freunde! Endlich seid ihr hier. Habt ihr viel gesehen auf dem Spaziergang hierher? Habt ihr Fragen?“, begrüßte der Mann mit dem ergrauten Lockenschopf uns drei. Pelok und ich nickten Brog zu, doch Foret machte eine kleine Verbeugung vor dem Ältesten Gärtner und fragte: „Wie konntet ihr diese Lichtschächte anlegen, ohne dass die Menschen davon etwas mitbekommen, Zirak Brog?“ Das Lächeln des Ältesten verbreiterte sich noch, als er antwortete. „Die Druiden hatten damals Zauber gewirkt, die zwar das Licht von außen durch die Schächte zu uns herunter bringen, aber von oben sieht und merkt man davon nichts. Wie eine Glasscheibe, durch die man nur in eine Richtung durchblicken kann. Es ging uns darum, möglichst unauffällig zu bleiben und dennoch die Möglichkeit zu haben, hier unten jede uns bekannte Pflanze anbauen zu können.“ Mein Freund nickte ehrfürchtig, denn die Leistung der Druiden beeindruckte ihn wohl sehr.

 

Meine Neugier war nun auch nicht mehr zu zügeln: „Was alles baut ihr an, Zirak Brog? Beim Verladen, das wir bei unserer Ankunft beobachten konnten, fielen mir Kohl, Rüben und auch Kartoffeln auf. Was gibt es hier sonst noch?“ Der Älteste zeigte sich weiterhin amüsiert und nickte gutmütig. „Du scheinst dich etwas auszukennen, Junge. Unsere Gärten haben wir in dieser Höhle halbkreisförmig unterhalb der Lichtschächte angelegt. Der mittlere Schacht, unter dem wir uns gerade befinden, erlebt das Mittagslicht, den er ist nach Süden hin ausgerichtet. Wir betreiben eine Dreifelderwirtschaft die sich an den Lichtbedürfnissen der Pflanzen orientiert. Auf jedem Feld bauen wir drei auf einander abgestimmte Pflanzen an. Die erste bildet essbare Wurzeln oder Knollen, die zweite Sorte ist hochwachsend und die dritte ist eine rankende Pflanze, die sich an der zweiten emporranken kann. So findet man oft Rüben, Bohnen und Getreide auf einem Fleck vereint. Zum Teil halten sie auch Schädlinge von einander fern oder beeinflussen sich gegenseitig zum Guten. Bestimmtes Myzel unterstützt das Zusammenspiel zusätzlich. Jahrhunderte der Erfahrung haben uns viel gezeigt und wir lernten daraus.“, erklärte Brog ausschweifend. Ich zeigte mich erstaunt und interessiert, auch Foret war sein Interesse anzusehen.

Pelok verneigte sich vor Brog und setzte an zu reden: „Unseren neuen Freunden sollte eine Tagesaufgabe zugewiesen werden, damit sie lernen, wie wir leben, werter Ältester. Wir sind nicht nur zum Reden hergekommen.“ Das Gesicht des Alten wurde einen Moment lang ernsthafter: „Du hast Recht, Pelok. Der Vorarbeiter dieses Abschnitts soll ihnen eine Arbeit zuweisen. Ihr findet Larik sicher am Brunnen. Ich werde nun meine Runde fortsetzen. Bis heute Abend zum essen, meine Herren.“, verabschiedete Brog sich.

 

Pelok ging wieder voran uns brachte uns zum Brunnen, wo eine schmale Gestalt zu warten schien, der von Kopf und Kinn viele dünne Zöpfe hingen, jeder einzelne der braunen Haarstränge wurde von einer kunstvoll gearbeiteten Metallperle geziert. „Willkommen in der ‚Mittagssonne‘! Es wird Zeit, dass ihr erscheint.“, brummte Larik uns an, zeigte aber ein freundliches Gesicht. Er sprach weiter: „Solltet ihr eure heutige Aufgabe zu meiner Zufriedenheit erfüllen, mag mein Groll euch gegenüber schnell vergessen sein. Ein brachliegender Acker muss gepflügt und für die neue Saat vorbereitet werden. Ihr seht kräftig genug aus, dass ich euch das ohne einen Zweifel zutraue. Ich zeige euch das Feld und stelle euch die Werkzeuge bereit. Kommt!“ Pelok winkte, als Foret und ich uns anschickten, dem Vorarbeiter hinterher zu gehen. „Bis heute Abend!“, verabschiedete sich der junge Zwerg und ging seines Weges.

Wir folgten einem gepflasterten Weg zwischen den Feldern, auf dem ein Handkarren gerade so Platz haben konnte. „Habt ihr schon einmal auf einem Feld gearbeitet?“, fragte Larik, als er neben einem metallenen Pflug stehenblieb, der für zwei Arbeiter gedacht zu sein schien. Einer musste ziehen, der andere lenken. Aus unserer Zeit bei den Uberts waren wir mit ähnlichen Konstruktionen recht gut vertraut und konnten sicher damit umgehen. Ich schaute Larik an und wollte wissen: „Wo sollen wir anfangen und wo aufhören?“, während ich mich daran machte, mir den Gurt zum Ziehen des Gerätes umzulegen. Foret würde für die erste Hälfte der Lenker des Pfluges sein. „Das nenne ich Arbeitseifer, Freunde!“, rief der Vorabeiter erfreut und erklärte kurz: „Jedes Feld ist von einem gepflasterten Weg umgeben, ihr könnt also nicht viel falsch machen, wenn ihr an einer Wegkreuzung beginnt und euch zur gegenüberliegenden Ecke durcharbeitet.“ Wir nahmen kurzerhand den Pflug auf und brachten ihn zur naheliegendsten Kreuzung und begannen mit dem Pflügen. Das Messer der Schar durchschnitt den festen, dünn mit allerlei wildem Kraut bewachsenen, Boden problemlos, sodass die Arbeit leicht von der Hand ging. Nach einiger Zeit kam der reichlich bezopfte Gärtnermeister zu uns und gewährte uns eine Pause. „Die Hälfte habt ihr geschafft, trinkt einen Schluck Wasser und stärkt euch. Am Brunnen steht ein Korb mit einer Brotzeit, an dem ihr euch bedienen könnt.“ Wir wischten uns den Schweiß aus den Gesichtern, als wir zum Brunnen gingen. Der Brunnenschacht reichte tief in den Untergrund des Berges hinein, ein gemauertes Rund mit einer Seilwinde stellte den Oberbau dar, an dem sich in vier Richtungen Rinnen anschlossen, mit denen die Felder bewässert werden konnten. Der sonnige Tag der Oberwelt brach auf einem Male mit voller Stärke durch den Lichtschacht, sodass das gesamte nähere Areal von Helligkeit überflutet wurde. Foret zog den vollen Eimer aus dem Brunnenschacht, ich hielt zwei Becher hin, um sie mit frischem Wasser gefüllt zu bekommen. Im Korb, der an dem runden Mäuerchen stand befanden sich ein dunkles, duftendes Brot und ein Tonkrug mit einer Art Aufstrich. Ich zog mein Messer aus dem Gürtel und schnitt uns von dem leckeren Laib einige Scheiben ab. Foret nutzte sein Besteck für dem Aufstrich und gab uns davon auf das Brot. Was für eine Köstlichkeit! Das malzige Backwerk harmonierte wundervoll mit der Würze und Fruchtigkeit des Gemüseaufstrichs, der wohl aus Kürbis und Kohlrabi bereitet worden war. Wir genossen die Arbeitspause in der Mittagssonne und ruhten uns für eine Weile aus.

 

Larik gesellte sich nach einer Weile mit einem zufriedenen Lächeln zu uns. „Ihr seid ein eingespieltes Gespann, wenn ich das richtig beurteile. Ihr arbeitet konzentriert, ausdauernd und sauber.“, zollte der Meister uns seine Anerkennung. „Die Mahlzeit habt ihr euch wirklich redlich verdient. Erzählt mir doch, woher ihr eure Erfahrungen in der Landwirtschaft habt.“, bat er uns. Ich war mir nicht sicher, ob wir ihm von unserer Zeit bei den Menschen berichten sollten, aber Foret begann mit seinen Ausführungen: „Bevor Daril und ich zu einander fanden, verbrachte ich mein gesamtes Leben beinahe allein in Takal Dûm, der Stadt der Ahnen. Ich musste mich selbst versorgen und baute daher auch meine Nahrung selber an. Meine Eltern hatten mir das beigebracht. Auch nachdem sich meine Wege mit denen des Bewahrers kreuzten, mussten wir zeitweise länger an manchen Orten verweilen und unsere Ernährung gewährleisten. So manches kleine Feld hatten wir gemeinsam angelegt und gepflegt. Der Krieg der Menschen hatte uns öfter dazu gezwungen, unsere Reisen zu unterbrechen.“ Ich nickte bewundernd zu meinem Freund. „Ja, wir hatten vieles überstehen müssen, ehe wir euch fanden. Den Menschen konnten wir aus dem Weg gehen, aber ihr Krieg hatte auf der Oberfläche seine Narben hinterlassen.“ Der Gärtnermeister nickte anerkennend: „Ihr seid sehr weit herum gekommen, wie ich daraus entnehmen kann. Von einem Krieg der Menschen haben wir nichts mitbekommen, da wir lieber unter uns bleiben. Es ist sehr lange her, dass wir Kontakt zu den Großen hatten, den meist erwächst Zank und Neid ehe ein Zwerg sich versieht.“ Das Licht der Mittagssonne verblasste allmählich und Larik forderte uns auf, die Arbeit fortzusetzen. Wir kamen dem schnell in getauschten Rollen nach. Nun zog Foret den Pflug, den ich lenken sollte. Nach getanem Werk durften wir uns nochmals eine Pause gönnen, bevor wir mit einer Egge die aufgebrochene Erde lockerten und gleichzeitig ebneten. Als nächsten Arbeitsgang versahen wir die Fläche mit einem Raster, an dem wir uns für die Aussaat orientieren konnten. Das Saatgut bestand aus Kernen einer Kürbisart, gelben Erbsen und den Samen einer Kohlpflanze. In jedes Quadrat des Rasters kam ein Korn jeder Sorte. Als wir beinahe fertig waren, kam Larik gemeinsam mit Pelok zum Feld. Beiden klatschten in die Hände und beglückwünschten uns zur erledigten Aufgabe. „Das habt ihr beide toll gemacht. Zwei unserer Gartenarbeiter hätten es nicht besser tun können.“, lobte Larik uns. Pelok nickte und winkte uns zu sich. „Gehen wir zurück zur Unterkunft, damit ihr euch für das Abendmahl mit den Ältesten frisch machen könnt. Bis ihr fertig seid, werden Larik und ich ihnen von eurem Erfolg berichten. Ihr werdet sicher das Thema in der gesamten Stadt sein.“, sagte er und wir setzten uns gemeinsam in Bewegung. Im westlichsten der Lichtschächte stand nun die rötliche Abendsonne, als wir den kreisrunden zentralen Platz der Anlage betraten. Die letzten Karren rollten heran und deren Inhalt wurde in die Transportkörbe verladen. Wir grüßten die anwesenden Arbeiter und gingen weiter, während über uns die Seilbahnen ratterten.

 

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