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22. Den Ahnen auf der Spur

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Mittelalterlicher Tisch mit Flaschen, Bechern und Tellern

Ich begab mich zielstrebig in die Sektion „Geschichtsschreibung“, um zu sehen, was hier zuletzt abgelegt worden war. Es gab hier tatsächlich ein Regal, das nur etwa halb mit magischen Schrifttafeln gefüllt war, dort begann ich mit meiner Recherche. Eine Abhandlung trug den Titel „Der Auszug aus der Eisenbinge“.

Die Bedrohung durch die gierigen Menschen vor dem großen Tor wurde sehr bildhaft dargestellt. Die Vorfahren, die eigentlich meine Zeitgenossen waren, hatten wirklich große Angst, von ihnen überrannt zu werden. Weiterhin wurde beschrieben, wie jeder Stadtteil nacheinander evakuiert wurde. Nur wenige Zwerge verblieben in der Stadt, darunter Redin, Daril, Belgir, Akatil und Golgar. Drei dieser Namen waren mir sofort ein Begriff. Belgir musste der Chronist gewesen sein und Golgar einer der Magier, die meine Essenz in das Steinei übertragen hatten. Akatil, Meister der Küche, war Forets Ahnherr und Redin ist der Name meines Vaters, er gehörte zu den Druiden. Der erwähnte Daril war demzufolge ich. Der Bericht endete damit, dass Akatil und seine Familie in der Stadt bleiben würden, bis der Bewahrer zurückkehrt. Wie wir wissen hielten sie ihr Versprechen bis zum Schluss.

Ich griff mir eine weitere Tafel und überflog den festgehaltenen Text. Ein Titel war auf dem Stein nicht vermerkt worden, aber das Geschriebene war interessant.

Sechs der sieben Gilden zogen westwärts, nur die Wissenden versuchten im Norden ihr Glück. Die Gebirge der westlichen Länder würden zu ihrem neuen Heim werden. Die Feuerlenker fanden ihren Platz auf einer rauen Insel mit Vulkanen und heißen Quellen. Die Steinformer bauten mehr als eine Siedlung und hatten den Bewahrer in ihrer Obhut.

Die Druiden folgten den Nordmännern unerkannt und besiedelten das grüne Hochland.

Die Erzformer schlugen sich durch harten Fels und erbauten eine Stadt nahe einer zerklüfteten Küste. Die Meister der Kochkunst ließen sich im Herzen des grünen Landes nieder. Die Händler zogen über das weite Land und fanden ihre neue Heimat weit im Westen zwischen Kalkstein und Granit.

Demnach musste der der Verfasser den sieben Gilden gefolgt sein oder zumindest über ihren Verbleib nachgeforscht haben und sein Wissen dann hier verewigt haben. Außerdem hatten die Steinformer mein Ei dabei, das sie irgendwann nahe Aussig im Elbsandsteingebirge versteckt hatten. Ich fasste den Plan, zuerst die Weisen im Norden zu suchen und dann zurück nach Böhmen zu gehen, um dort mehr über mein Schicksal herauszufinden und nach den Uberts zu sehen.

Ich las den Text noch bis zum Ende, wo der Autor noch eine kurze Erklärung und seinen Namen hinterlassen hatte.

„Ich verließ mit den Steinformern gemeinsam zuletzt die Stadt, bevor der Durchgang hinter uns versiegelt wurde. Eine kleine Gruppe, der ich angehörte sollten den anderen Gilden folgen, sobald die Steinmetze sich niedergelassen hatten. Es brauchte einige Zeit, aber wir fanden eine passende Höhle, die unseren Zwecken genügte. Mit dem Berggeist, der diese Gegend beschützte, schlossen wir Freundschaft und erlaubten, dass er sich in die großen Hallen begeben durfte, wann immer er wollte. Ich mobilisierte meine Gruppe und wir begaben uns auf die Mission, unsere Verwandten zu besuchen und alles zu dokumentieren. Zu guter Letzt brachte ich meine Aufzeichnungen hierher in die Halle des Vermächtnisses, damit sie gut verwahrt blieben. Rognil, Sohn des Belgir.“

Der Sohn des Chronisten, dessen letzte Aufzeichnungen ich in der Schieferstadt gefunden hatte! Das erstaunte mich immens. Die einzelnen Bruchstücke fügten sich immer mehr zu einem Bild zusammen.

Irgendetwas roch mit einem Male richtig gut. Ich folgte dem Duft in die Abteilung „Kochkunst“ und entdeckte Foret dort, wie er geschäftig Pilze kleinschnitt, während in einem Kessel bereits Wurzeln kochten, die den Duft verursacht hatten. Olthek fand auch den Weg zu uns und leckte sich die Lippen. „Ich wusste nicht, dass du kochen kannst, Foret.“, bemerkte er sichtlich erfreut. „Meine Familie entstammt der Gilde der Köche, junger Freund!“, entgegnete dieser stolz. Ich lächelte nur und sah einem leckeren Essen entgegen.

Schließlich gab es Wurzelstampf mit braun gebratenen Zwiebeln und geschmorten Pilzen, was Foret vorzüglich wusste zuzubereiten. „Die Beete sind mittlerweile etwas verwildert, aber man findet immer noch gute Sachen, um eine Mahlzeit zu richten. Wir werden also nicht hungern, solange wir hier sind und für die Weiterreise können wir uns auch eindecken.“, erzählte Foret begeistert. Olthek hatte auch etwas zu berichten: „Ich habe mich weiter vorn umgesehen, wo es um die Handwerke geht. Es ist sehr interessant, was da alles zusammengetragen wurde. Die Schleifbank dort ist nützlich, da können wir unsere Klingen schärfen. Auch allerlei Ausrüstungsgegenstände liegen dort. Ein oder zwei Seile wären doch recht brauchbar, denke ich.“ Ich nickte anerkennend und sagte: „Lasst uns nach dem Essen gemeinsam nachsehen, was wir davon mitnehmen können.“

Wir brachten gemeinsam das Essgeschirr in die kleine Küche, reinigten es und räumten es wieder weg, dann gingen wir nach vorn, dem Zugang entgegen.

Olthek und ich nahmen jeder ein Seil und einen Wurfhaken, Foret fand einen Handpickel, den er seinem Gepäck zufügte. „Wenn wir weiter in den Norden gehen wollen, müssen wir auch wärmere Kleidung haben. Die Kalten Tunnel interessieren mich schon sehr.“, bemerkte ich meinen Gefährten gegenüber. Sie zeigten sich einverstanden und wir schauten uns nach geeigneten Sachen um. Wir fanden einige Felle und auch Waren aus Schafwolle, die wir mit zum Schlafsaal nahmen.

„Lasst und noch einmal hier schlafen und essen, bevor wir die Reise fortsetzen.“, bat Foret, Olthek und ich hatten nichts dagegen, denn so hatten wir noch etwas Zeit, uns gut vorzubereiten. Ich schätzte, dass Foret noch nach einigen Rezepten suchen wollte, außerdem hat kein Zwerg etwas dagegen, vor einer Reise gut zu speisen.

Die Zeit bis zu unserem Aufbruch in Richtung Norden wüssten wir schon zu füllen wissen. Das Archiv bot uns viele Möglichkeiten. Ich beschäftigte mich eine Weile mit den Grundlagen zwergischer Magie, wo mir zwei Bücher auch erklärten, was es mit den individuellen latent vorhandenen Fähigkeiten auf sich hat. Eine Verbindung zu Erzen im Gestein oder zu Wasseradern während einer Meditation aufbauen zu können, schien bei unseresgleichen keine Seltenheit zu sein. Eben solche Fähigkeiten wurden berücksichtigt, wenn es um die Ausübung der Berufung eines Zwerges ging. Ich hatte mich für die Ausbildung zum Druiden entschieden, nicht weil mein Vater bereits zu ihnen gehörte, sondern weil ich mich in der Natur wohlfühlte und die mir innewohnende Magie sinnvoll damit verbinden wollte.

Später ging ich Richtung Schmiede, um mich auch etwas handwerklich zu beschäftigen. Ich kramte die von mir erstellte Schnalle aus meiner Gürteltasche und überlegte, ob ich nicht endlich einen Lederriemen daran befestigen wollte, da ich ja die warme Kleidung noch im Marschgepäck verstauen musste. Ich würde den Riemen zweimal durchziehen, um die Felle und die Wollhose oben auf den Tornister gemeinsam mit der Decke befestigen zu können. Ein breiter Gürtel würde sich dafür wohl eignen. Ich schaute mich also im Bereich der Gerberei und Lederbearbeitung um und fand einen geeigneten Lederstreifen sowie passende Stiftnieten. Werkzeuge, mit denen ich die nötigen Löcher in das Leder treiben konnte, waren auch in verschiedenen Größen vorhanden. Ich versuchte mich zaghaft in der Bearbeitung des dicken Lederriemens, indem ich mit zuerst die Positionen der Löcher anriss, bevor ich sie mit Hammer und Locheisen in das Material stanzte. Zwei größere Löcher für die Nieten, sieben mittelgroße für die Schnalle und am Rand entlang viele kleine zum nachträglichen Vernähen, damit alles gut zusammenhalten würde. Wie lange ich für die Arbeiten gebraucht hatte, weiß ich nicht, aber ich überlegte ehrlich, ob ich den neuen Gürtel mir nicht lieber für die Hose benutzen sollte und den alten Riemen noch überarbeiten und zum Festzurren meines Gepäcks gebrauchte. Ich machte es so und entfernte alle am Gürtel befestigten Taschen, Beutel und Schlaufen. Den neuen Riemen bestückte ich wiederum mit all meinen Sachen und zog ihn wieder an. Tatsächlich trug das dickere Leder die Last besser und ich war sehr zufrieden mit dem Gesamtergebnis. Meinen gebrauchten Gürtel betrachtete ich näher und beschloss ihn auszubessern. Ich entfernte die abgewetzten Nieten und ersetzte sie. Auch das Garn war stellenweise schon aufgescheuert und ich entfernte es, um es durch ein vernähtes dünnes Lederband zu ersetzen. Nun ging mir diese Tätigkeit einfacher von der Hand und ich kam schnell zu einem guten Ergebnis. Ich fügte noch einige Löcher hinzu, um den Riemen enger ziehen zu können, dann war ich fertig und stolz auf meine geleistete Arbeit. Vergnügt räumte ich abschließend die kleine Werkstatt auf und verließ sie, um meine Gefährten zu suchen. Vielleicht war Foret ja in der Küche zugange, dachte ich mir und ging dorthin. Ich fand ihn am Tisch sitzend, wo er konzentriert in einem handgroßen gebundenen Buch las. Meinen setzte ich in Richtung des Schlafsaales fort, um meinen Freund nicht bei seiner Lektüre zu stören. Dort fand ich Olthek schlafend vor, wobei er leise schnarchte. Ich gönnte mir einen Schluck Hartfels-Met und ruhte mich ebenfalls etwas aus.

Irgendwann kam Foret hinein und weckte uns zum Essen. Dabei klopfte er mit einer Messingkelle dröhnend auf einem Topf herum, dass Olthek und ich ihn missmutig anmaulten, was er sich dabei gedacht hätte. Als wir uns aufgerappelt hatten, waren wir dem Koch nicht mehr böse sondern folgten ihm in die Küche und wurden mit einem leckeren Essen entschädigt, das uns über das unsanfte Wecken nur noch scherzen ließ. Foret hatte gerösteten Kohl mit Speck zubereitet, wozu er gratinierte Rüben reichte. Ehe man sich versah, waren die Töpfe leer und die Zwerge befüllt, so gut schmeckte es uns Dreien. Olthek und ich lobten Forets Kochkünste anerkennend und ausgiebig, dass er vor Stolz gleich drei fingerbreit größer erschien. Er deutete auf das aufgeschlagene Buch hinter ihm auf der Anrichte. „Die Rezepte habe ich in diesem Buch gefunden. Das ist noch gar nicht so alt, aber die Rezeptsammlung drüben“, er zeigte auf die Regale auf der anderen Seite des Mittelganges, „ist so umfangreich und reicht bis in die frühesten Tage unseres Volkes zurück. So viel wie heute habe ich in meinem ganzen Leben nicht an einem Stück gelesen. Ich fürchte aber, dass ich nichts davon mitnehmen kann, denn dafür haben wir keinen Platz auf der Reise.“ Ich nickte, bot ihm aber gleichzeitig an, eine Auswahl an Rezepten für ihn auf eine Buchtafel zu übertragen. Er freute sich über den Vorschlag. „Das wäre eine feine Sache, wenn du das kannst, Daril. Nach dem Abwasch suche ich einige Gerichte aus der Bibliothek aus und zeige sie dir, damit du mir die Sammlung erstellen kannst.“ Diesem freundlich lächelndem Zwerg konnte ich den Wunsch einfach nicht abschlagen.

Gemeinsam räumten wir den Tisch ab und besorgten den Abwasch. Foret begab sich danach zu den Büchern und suchte sich vielversprechende Rezepte heraus, während ich mich in die Abteilung der Schreiber begab, um mich mit den nötigen Utensilien auszustatten. Danach trafen wir uns am großen Tisch in der Unterkunft, wo wir den Platz für all die Bücher hatten, die er nach und nach anschleppte. Foret zeigte mir den Text, den ich kopieren sollte und ich übertrug jedes Rezept akribisch auf die noch leere Steintafel. Jede volle Seite versah ich mit dem Buchzauber, der den Text in der Tafel festhielt. Nach zehn Rezepten bat ich meinen Freund um eine Pause, die er mir lächelnd gewährte. Ich besuchte den Abort, der an den Waschraum anschloss, reinigte mich gründlich und ging zurück an meine Aufgabe, nachdem ich mir noch einen kleinen Schluck Met gegönnt hatte. Irgendwann war Foret der Auffassung, er hätte genügend Kochanleitungen zusammengetragen und schickte sich an, wieder in die Küche zu gehen, um eine weitere Mahlzeit für uns zu bereiten. Olthek war wieder in der Halle unterwegs, deren Fundus unerschöpflich erschien. Beim Essen sollte er uns davon erzählen, worauf er gestoßen war.

Foret besuchte mich zwischendurch einige Male und zeigte mir den nächsten Text, den er seiner Kollektion hinzuzufügen gedachte. Ich kam dem gern nach, denn so gut wie er kochte kaum jemand in meinem Bekanntenkreis, außer vielleicht Hilde Ubert, die diese wunderbaren böhmischen Knödel meisterlich zubereiten konnte. Sollte ich je in Erfahrung bringen, wie man diese macht, würde ich Foret das Rezept zukommen lassen, das schwor ich mir. Während ich den letzten Text gerade übertrug, meldete Foret mir, dass das Abendessen fertig wäre. Ich erbat mir die Zeit, meine Arbeit noch beenden zu dürfen und beendete in Ruhe das Vorhaben. Ich schloss die letzte Seite mit dem Zauber in das magische Buch ein, versah unser gemeinsames Sammelwerk mit dem Titel „Eine Sammlung zwergischer Kochkunst. Foret, Sohn des Tumnil und Daril, Sohn des Redin“ und nahm das Buch mit zum Abendessen.

Wieder dufte es verführerisch aus den Töpfen und der Pfanne, die bereits auf dem Tisch standen. Diesmal gab es gekochte Saubohnen, Pastinakenpürree und dazu gebratene Morcheln. Ich hatte bisher nicht geahnt, wie vielfältig und überaus schmackhaft die Küche unseres Volkes ist. Foret zeigte sich begnadet in deren Zubereitung und ich war ehrlich verzückt davon.

Nach dem vorzüglichen Mahl durfte Olthek uns erzählen, womit er sich während unseres Aufenthaltes in der Halle des Vermächtnisses beschäftigt hatte.

„Dieses überwältigende Archiv war für meinen Wissensdurst eine wahre Fundgrube. In jeder Ecke fand ich Schriften über Dinge, die mein Interesse nur noch verstärkten. Ich übte mich im Schmieden, in der Steinmetzkunst und im Schnitzen von Holz. Ich las über die Geschichte unserer Ahnen und fand heraus wie sie Naturenergie und Magie zu nutzen lernten. Nun verstehe ich viel besser, was es bedeutet, zu den Khazâd zu gehören. Unsere Kultur ist vielfältig und reich an Wissen. So manche Stunde hatte ich damit verbracht, das Gelesene in meinem Kopf zu Bildern zu formen. In meinen Gedanken wurde einfach alles lebendig und greifbar. Ich sehe mich dadurch vollends betätigt in meiner Entscheidung, euch beide zu begleiten. Es macht mich glücklich, dabei sein zu dürfen, die Zwerge wieder zusammenzuführen.“, erzählte er mit vibrierender Stimme und leuchtenden Augen, die die eine oder andere Träne losließen, welche in seinem kurzen Bart verschwanden. Ich war sehr gerührt von dem Gesagten und schloss Olthek mitfühlend in meine Arme. „Du hast das Herz am rechten Fleck, Khazdith und machst deiner Art alle Ehre.“, sprach Foret zu ihm und legte ihm väterlich die Hand auf die rechte Schulter. Ich schlug vor: „Lasst uns gemeinsam trinken und morgen nach Norden aufbrechen. Ich bin neugierig, ob wir die Wissenden in den Kalten Tunneln finden werden.“

Zur Unterkunft gehörten neben Waschraum, Schlafsaal und Sitzgelegenheiten auch eine Theke, hinter der immer noch gefüllte Fässer aufgebockt waren. Wir probierten uns durch die Getränke, die allesamt noch genießbar waren. In einem Fässchen befand sich Kräuterbranntwein, der mir schnell zu Kopfe stieg. Ein anderes Fass beinhaltete ein dunkles dickflüssiges Bier, das mich stark an bitteren Karamellsirup erinnerte, seinen Reiz hatte das Gebräu dennoch. Der dritte Behälter fasste einen süßen Met, der nach Holunder duftete und mir am besten mundete. Die Flüssigkeit im letzten der vier Fässer schmeckte nicht alkoholisch, sondern einfach nur nach verschiedenen Kräutern und Früchten, offenbar ein kaltgezogener Aufguss. Als mir später vom vielen Trinken der Kopf zu sehr brummte, wechselte ich zu dem aromatischen Getränk. Wir sangen alte Lieder und ich spielte auf meiner Flöte, während die anderen beiden begleitend auf dem Tisch trommelten, bis wir müde und zufrieden in die Betten fielen und schliefen, bis jeder von allein aufwachte.

 

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