An den Mauern hingen Fackeln, die bereits seit Jahrhunderten nicht mehr brannten, die Leuchtpilze, die unseren Weg bis dahin spärlich erhellten, wurden weniger und nur ihr Myzelium durchzog die Fugen des Mauerwerks mit einem schwachen Glimmen.
„Wir sind in der Hohlburg, Freunde.“, benannte Foret das Offensichtliche. Ich holte mein Feuerzeug hervor und entzündete eine der alten Fackeln, Olthek griff sich ebenfalls eine, die er an meiner entfachte. Anders als in den Tunneln hatte sich auf dem gepflasterten Boden Staub niedergelegt, der bei jedem Tritt leicht aufwirbelte. Schließlich gelangten wir an eine schwere eisenbeschlagene Holztür, welche wir versuchten zu öffnen, die sich aber kein Stückchen bewegen ließ. Foret erinnerte sich an die Fackelhalter bei unserem ersten Besuch der Hohlburg, also teilten wir uns auf und zogen an allen Halterungen, die wir in der Nähe fanden. Nichts tat sich. In mir erwachte ein zweiter Gedanke: „Lasst uns nachsehen, ob es oberhalb der Tür eine Inschrift gibt.“ Olthek und ich hielten die Fackeln in die Höhe und Foret betrachtete den Türbogen. „Nicht Auffälliges zu sehen. Könnt ihr mir Steighilfe geben, damit ich das Mauerwerk berühren kann?“, fragte er. Ich steckte meine Fackel in eine der Halterungen und Olthek tat es mir gleich, dann bildeten wir für Foret eine Räuberleiter. Er schien sich etwas unsicher zu fühlen, aber wir stützen ihn so gut wir konnten. Mit ausgestreckten Arm legte er seine Hand auf die Ziegel über der Tür und es geschah wiederum nichts. Vorsichtig ließen wir unseren Weggefährten wieder herab.
„Aber es muss doch einen geheimen Schalter oder irgendetwas geben.“, sinnierte Olthek und ich dachte nach, wie ich bisher versteckte Durchgänge entdeckt hatte. In der großen Halle des Herrn der Berge folgte ich den Runen, die in der Zierborte eines Ganges versteckt waren. In der Eisenbinge und in den Bahnstationen gab es Runen, die durch Berührung aktiviert wurden. Ich fand aber auch Mechanismen, die durch Hebel und Druckplatten oder -knöpfe aktiviert werden konnten. Gab es noch weitere Möglichkeiten? Wenn ja, musste es doch irgendwo in der Nähe einen kleinen Hinweis geben, den man als Zwerg unmöglich übersehen konnte.
„Wir suchen nach etwas, das für uns Zwerge typisch ist. Runen, Handwerk, Nahrung, irgendwo hier ist etwas, das uns weiterhelfen wird.“, dachte ich nun laut nach. „Löscht die Fackeln und benutzt eure eigenen Sinne.“, schlug ich vor. Das Licht verschwand, als Foret und Olthek die Flammen erstickten. Einen kurzen Moment lang befanden wir uns in kompletter Dunkelheit. Ich setzte mich auf den kühlen Steinboden und begann ruhig zu atmen, konzentrierte mich auf meine Umgebung und versuchte, meine Sinne auszuweiten. Die anderen beiden Zwerge taten es mir gleich.
Ich fühlte die Feuchtigkeit zwischen den Steinen und mein Gespür folgte den winzig kleinen Wasseradern durch Fels und Erde. Unter uns gab es eine große Höhle mit vielen Tropfsteinen, deren Wasser einen kleinen See gebildet hatte. Die Felswände dort waren bearbeitet worden. Das Ziel hatte ich also gefunden, fehlte und nur noch der Weg dorthin.
„Daril, unter der Tür gibt es einen Mechanismus.“, sagte Olthek so plötzlich, dass meine ausgestreckten Sinne schlagartig in meinen Körper zurückkehrten und mir schwindelte, dass ich mich erst wieder sammeln musste, ehe ich reagieren konnte. „Das ist eine gute Nachricht. Weißt du, wie er bedient wird?“, entgegnete ich. Der junge Zwerg nickte, erhob sich und ging in Richtung der Tür, wo er seine Hände links neben der Öffnung gegen die Ziegel drückte. Kurz darauf hörten wir etwas steinern rumpeln und schaben, die Tür sprang einen Spalt weit auf. „Wie hast du das herausgefunden, Olthek? Was ist deine Gabe?“, fragte Foret ihn, ich teilte seine Neugier. „Ich kann mich auf Mineralien einstimmen und mit ihnen in Kontakt treten. Es ist, als könnte ich durch die Steine sehen, wenn ich mich darauf stark genug konzentriere.“, teilte der ehemalige Wächter mit und erklärte weiter: „Auf diese Weise konnte ich mit Garg so etwas wie eine Freundschaft eingehen. Bergtrolle bestehen fast nur aus Stein.“ Ich nickte und erzählte ihm, dass ich fähig war, etwas Ähnliches mit Wasser zu können. Beide Mitstreiter schauten mich nickend an. „In meiner Meditation sah ich weit unter uns eine ausgedehnte Tropfsteinhöhle, deren Wände Spuren von Bearbeitung aufweisen. Genaueres konnte ich nicht wahrnehmen in der kurzen Zeit. Nun lasst uns die Fackeln wieder anzünden und sehen, was sich hinter der Tür befindet.“, sprach ich.
Genau das taten wir und schritten durch die Tür. Wir fanden uns auf einer Treppe wieder, die in die Tiefe führte. Der Raum kam Foret und mir sehr bekannt vor. Würden wir den Stufen nach unten folgen, würden wir Tumunkazor verlassen und nahe der elfischen Zuflucht den Wald erreichen. Entlang den Wänden gab es noch eine Art Sims, den man betreten konnte, um zu dem Durchgang auf der gegenüberliegenden Seite zu gehen. Breit genug für einen Zwerg war er zumindest, wir mussten also hintereinander laufen. „Wenn wir diesem Weg folgen, kommen wir doch nach Takal Dûm.“, bemerkte Foret richtig. „Dann muss es von hier aus noch eine Möglichkeit geben, in die von mir entdeckte Höhle vorzudringen.“, meinte ich. Wir bewegten uns langsam rechts herum entlang der Wand durch den Raum. Ich zog an jedem Fackelhalter, folgte den Mauerfugen mit meinen Fingern, aber nichts geschah dabei. Foret stolperte und stürzte hinter mir gegen die Wand, was Olthek seinerseits zum Straucheln brachte. Nun lagen beide aufeinander auf dem schmalen Rundgang.“Kommt hoch, ihr zwei. Wir rasten später!“, machte ich mich über sie lustig, reichte Olthek aber die Hand zur Hilfe, dann standen wir Foret bei, wieder auf die Füße zu kommen. Seine Hand rutschte von meiner ab und verschwand in der Wand. Ich stutzte. „Was war das? Lege deine Hand bitte gegen die Mauer.“, bat ich meinen Freund, er ersuchte es, aber er griff erschrocken durch die Ziegelsteine hindurch. „Na dann, durch die Wand, werte Mitzwerge!“, ermutigte Olthek uns. Es brauchte zwei Schritte, um die andere Seite zu erreichen. Die Täuschung mit der Mauer war perfekt, weder auf der Seite des großen Raumes, noch auf der Seite des Ganges, in dem wir nun standen, hatte man erkennen können, dass dieser Durchgang existierte. Nur einige schwach gelblich glimmende Runen zu unseren Füßen machten darauf aufmerksam.
„Yamar“ hieß das Wort, das „Ausgang“ bedeutete und der Pfeil, den die r-Rune darstellte, zeigte direkt auf die versteckte Passage.
Auch dieser Korridor war aus Ziegeln gemauert und er brachte uns bis an eine abwärts führende Treppe, welche sich weit hinunter wendelte. Foret und ich kannten das bereits von der Treppe am anderen Ende des kirchenähnlich großen Raumes. Je tiefer wir gingen, umso feuchter und kühler wurde die Luft wieder, ähnlich wie in den naturbelassenen Tunneln, die uns hergeführt hatten. Zweimal legten wir eine Rast auf unseren Weg abwärts ein, ehe sich die geräumige Tropfsteinhöhle vor uns öffnete und die Stufen ein Ende nahmen. Von dem turmartigen Treppengang führte ein begradigter Weg zwischen den Stalagmiten und Stalaktiten hindurch, auf dem im Laufe der Jahrhunderte bereits neue Kalksintersteine entstanden waren. Dadurch mussten wir vorsichtig gehen, um nicht auszurutschen.
Der Pfad führte uns zu einem Torbogen, der mit einem bläulich illuminierten Fresko reich verziert war. An einigen Stellen hatten sich Kalkablagerungen gebildet, was das gebotenen Bild dennoch nicht beeinträchtigte. Zwerge mit Schrifttafeln waren erkennbar und andere hantierten mit Spitzhacken, Hämmern und Äxten, Bienenkörbe und Hopfendolden sahen wir ebenfalls. Das Bildnis bedeckte die gesamte Breite der Höhlenwand und war nur von dem Torbogen unterbrochen, über dem in großen blaugrün leuchtenden Runen zu lesen war:
dumu azbâh, Halle des Vermächtnisses
Wir hatten unser erstes Ziel erreicht.
Das ehrfurchtsvolle Erstaunen hielt beim Betreten des Komplexes an. Die Halle war wirklich gigantischen Ausmaßes und schmiegte sich harmonisch in die weiträumige Höhle ein. Stellenweise unterstützten kunstvoll verzierte Säulen die Deckenkonstruktion, die das Gebäude und dessen Einrichtung vor Feuchtigkeit schützte. In der Tat war die Luft hier drinnen wesentlich trockener als in der Tropfsteinhöhle. Im Zentrum des Bauwerkes stand unübersehbar eine Markierungssäule, auf die ich zielstrebig zuging.
Sie bestand eindeutig aus Kalkstein und bei Berührung erglommen hellblau die Runen an den vier Seiten des Quaders, der den Sockel bildete.
„Der Schrein umfänglichen Wissens umgibt euch.“
„Alle sieben Gilden trugen ihren Teil zur Erschaffung bei.“
„Das Erbe der Zwerge wird fortbestehen in alle Zeit“
„Nutzt weise, was zusammengetragen wurde.“
Das alles war nicht sehr schwer zu verstehen, sondern sagte offensichtlich aus, dass diese Halle ein umfassendes Archiv der zwergischen Kultur darstellte.
Die linke Seite des riesigen Raumes beherbergte größtenteils Regale, zwischen den Säulen befanden sich Sitzgelegenheiten und die rechte Seite des Saales war in Sektionen unterteilt, die jeweils ein Handwerk oder einen anderen wichtigen Aspekt zwergischen Lebens zum Thema hatten. Es gab eine Schmiede, Pilzbeete, eine Brauerei, ein Bildhaueratelier und vieles mehr zu bestaunen und zu benutzen. Es fühlte sich an wie ein Museum, in dem man alles anfassen durfte und selbst kreativ werden konnte. Dazu fand man auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes die schriftlichen Anleitungen und Erläuterungen. Dieser Ort faszinierte und überwältigte mich gleichermaßen, sodass ich lange brauchte, meine Gedanken zu ordnen und meine Worte wiederzufinden.
„Das ist wundervoll!“, flüsterte Olthek neben mir, Foret atmete geräuschvoll aus und nickte dabei anerkennend. Langsam folgten wir dem Mittelgang und ließen die Säule hinter uns. Der hintere Bereich der Halle beschäftigte sich mit Schreibkunst, Wissenschaft, Magie und Geschichte. Sich mit all der Fülle zu beschäftigen, die hier gesammelt worden war, überstieg die Lebensspanne eines Zwerges um das Vielfache.
Der Saal schloss mit einer Wand ab, die, wie die Außenmauer des Gebäudes, mit Szenen zwergischen Alltags bebildert war. Ein schmaler Türbogen verband die Halle mit einem kleinen Schlafsaal. Hier legten wir unser Gepäck ab und streckten uns auf den Liegen aus.
„Wie wollen wir vorgehen? Was wird unser nächstes Ziel werden?“, fragte Foret frei heraus. „Wir haben hier alle Möglichkeiten, uns zu versorgen und zu lernen, aber unser wichtigstes Ziel ist es doch, die anderen Gildenstädte aufzuspüren. Vielleicht finden wir im Bereich Geschichte Anhaltspunkte, oder wir wenden uns nach Kallâ Atâr, was scheinbar die nächste Siedlung ist.“, schlug Olthek vor. Ich überlegte sorgfältig, was das vernünftigste Vorgehen wäre. „Lasst uns etwas hierbleiben und sehen, was in den Aufzeichnungen zu finden ist, danach gehen wir zu den „Kalten Tunneln.“, entschied ich und beide erklärten sich einverstanden.
Wir ruhten ausgiebig und erkundeten später jeder für sich den Kulturschatz der Khazâd.
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