Erneut füllte der alte weise Zwerg seinen Becher und trank langsam davon. Sein langer, kunstvoll geflochtener Bart wippte bei jeder kleinen Bewegung, im Licht funkelte der metallene Bartschmuck.
„Nun wisst ihr, warum wir so ein schwieriges Verhältnis zu den Menschen haben. Sie reagieren impulsiv und sind daher unberechenbar.“ Nochmals nippte Durgin aus seinem Becher ehe er fortfuhr. „Nun möchte ich aber auf die Markierungssäulen zurückkommen. Jede von ihnen soll uns Khazâd dazu anregen, unser Inneres zu erforschen und die Lösung eines Problems in uns selbst zu finden. Auf jeder der vier sichtbaren Seiten des quaderförmigen Sockels ist ein Satz mit magischen Runen eingraviert. Das können Anweisungen sein oder ein Rätsel oder auch eine Anleitung zur Meditation. Die sieben Säulen von Takal Dûm sind thematisch mit dem Ort verbunden, an dem sie stehen. Als wir die Stadt unserer Vorväter verließen, wurde uns aufgetragen, eine neue Säule dieser Art dort zu errichten, wo wir uns niederlassen würden. Jede dieser Säulen sollte zu einem Hinweis führen, was unser Volk in der Zukunft erwarten würde. Da jedes Gildenviertel für sich evakuiert wurde, gab es nur wenige Zwerge anderer Gilden in den jeweiligen Gruppen Flüchtender. So würde jede Gruppe ein neues Heim gemäß der Ausrichtung ihrer Gilde gründen und eine dazu gehörende Säule bauen. Meiner Annahme nach, ist es die Aufgabe des Bewahrers, die versprengten Gilden wieder zusammenzubringen. Hier im Hartfels siedelten sich in erster Linie die Erzformer an, denen das Schmiedehandwerk am meisten lag. Auch heute ist das Areal der Schmiede immer noch das Herzstück unserer Siedlung. Die Markierungssäule, die auf dem alten Platz der Ankunft zu finden ist, zeigt uns die Bedeutung der Zahl Sieben auf. Nun möchte ich Eure Gedanken zu den Runen auf der Säule von Mebel’aban hören, Herr Daril.“
Ich war überrascht, so direkt von Meister Durgin angesprochen zu werden, dass ich einen Moment brauchte, ihm antworten zu können. „Ich denke, dass es nötig ist, eine Gruppe von sieben Zwergen zusammenzustellen, in der jeder einer anderen Stadt oder Gilde entstammt. Wir müssen unsere Fähigkeiten sinnvoll verbinden, um ein noch unbekanntes Ziel zu erreichen, das offensichtlich mit den sieben Säulen von Takal Dûm zusammenhängt.“, antwortete ich langsam und nachdenklich. „Aye, das hört sich doch richtig und vernünftig an.“, bestätigte der Bibliothekar meine Gedanken. „Es wird hier in der Stadt einen Zwerg geben, der Euch auf Eurer weiteren Suche begleiten wird. Verweilt und findet heraus, wer das sein wird.“, schlug er vor. Diesen Rat nahm ich gern an und bedankte mich gebührend bei dem alten weisen Zwerg: „Zirak Durgin, Ihr habt mir die Geschichte unseres Volkes wieder ins Gedächtnis gerufen. Ich danke Euch für die Zeit, die Ihr dafür mit uns verbracht habt und für den Weg, den Ihr mir aufgezeigt habt.“ Ich verbeugte mich tief vor dem Meister des Wissens. Er nickte und wünschte mir noch viel Glück auf meinen Wegen. Auch Foret verneigte sich vor ihm und er folgte mir dann in Richtung Ausgang.
„Thídra, verzeiht, ist es möglich, etwas zu essen und zu trinken? Der Morgen war doch ereignisreicher, als ich mir hatte vorstellen können.“, fragte ich die nette Wirtin, die immer noch mit uns unterwegs war. Möglich, dass Callia ihr aufgetragen hatte, uns zu begleiten. Bereitwillig antwortete sie: „Natürlich gibt es Essen. Gehen wir zurück zur Taverne und ihr werdet versorgt werden.“
Den Kopf voller wirbelnder Gedanken ging ich der Gruppe hinterher. Es lagen viel Arbeit und weite Wege vor mir und der zukünftigen Gruppe. ‚Das könnte abenteuerlich werden.‘, dachte ich mir.
Kurz darauf standen wir wieder vor der „Taverne des Eisenbändigers“, traten ein und nahmen am Tisch Platz. Aus dem hinteren Bereich des Lokals duftete es sehr lecker. „Darf ich mir die Küche ansehen, werte Thídra? Ich bin gespannt, wie das mit dem Kochen bei euch organisiert ist.“, fragte ich sie neugierig. Darauf lachte sie kurz auf und antwortete grinsend mit einem einfachen „Ja.“. Ihre rechte Hand wies mir die Richtung und ich folgte dem Fingerzeig.
Solch eine große Küche hatte ich nicht erwartet. Von der Türschwelle her erstreckte sich der Raum viele Schritte nach vorn und nach rechts. Entlang der langen Wand reihten sich zehn Kochstationen mit jeweils Kessel, Backofen, Bratfläche und Grill. Darunter zog sich ein Kanal mit flüssigem Magma. Zur Hitzeregulierung war es möglich den Kanal segmentweise abzudecken. So konnten die Köche effektiv die vorhandene Hitze so nutzen, wie sie gerade benötigt wurde. Vier Köche waren im Moment hier beschäftigt und bereiteten wohlriechende Köstlichkeiten zu. Einer von ihnen schaute auf und winkte mich zu sich. „Ich grüße Euch, Herr Daril. Mein Name ist Askgrim, willkommen in der Großküche von Hartfels. Wir kochen hier für alle Einwohner ein warmes Mahl zur Mittagszeit und abends richten wir ein Buffet her, an dem sich alle bedienen können. Das fertige Essen wird direkt an die anderen Tavernen der Stadt geliefert, manchmal auch direkt in die Ratshalle. Ich hoffe das Essen war gut gestern Abend.“, empfing er mich. Ich nickte bestätigend.
Er sprach direkt weiter: “Die Kühlkammern, um manche Waren frisch zu halten, befinden sich zur Bergseite hin in den Nebenräumen. Zum Kühlen holen wir uns im Winter Eis aus der Oberwelt. Das Tauwasser lassen wir über Kanäle nach draußen abfließen.
Gerade kochen wir noch die letzte Mittagsmahlzeit fertig und reinigen dann die Küche, ehe wir selbst unser Mahl einnehmen.“ Ich lächelte den Koch amüsiert an. „Habt Dank, werter Askgrim. Ich habe bisher nur gut gespeist, seit wir eure Stadt erreicht haben. Ich koche selbst gern und sammle auch Kräuter, um meine Speisen zu verfeinern. Der gute Duft trug mich in Euer Refugium. Ich bin sehr beeindruckt von den Ausmaßen. Zu den Hauptzeiten arbeiten hier also zehn Köche an den Kochplätzen?“, erkundigte ich mich. „Richtig, dabei werden wir von je zwei Hilfsköchen unterstützt. Wir wechseln unsere Arbeitspflichten alle sieben Tage ab, damit jeder die Arbeit der Mitköche immer zu schätzen weiß.“, klärte mich der Koch auf. Ich nickte und entgegnete: „Das ist die zwergische Art. Ich bedanke mich für das nette Gespräch.“ Dann ging ich zurück in den Schankraum zu Foret und Thídra.
Olthek trat ein, als uns das Essen gebracht wurde und setzte sich zu uns. Zuerst grüßte er seine Mutter, dann uns. „Shamukh. Es ist schön, euch zu sehen. Bisher hatte ich viel zu tun und hoffe, noch rechtzeitig zu sein, um noch etwas vom Mittagessen zu bekommen.“
Thídra beruhigte ihn: „Wir sind auch zum Essen hier. Tarni hat heute meine Aufgaben übernommen, damit ich unseren Gästen die Stadt zeigen kann. Bleib doch bei uns, solange es deine Zeit zulässt, mein Sohn.“ Olthek nickte erfreut, seine Mutter brachte noch schnell ein Gedeck für ihn an den Tisch und wir nahmen gemeinsam die Mahlzeit ein. Man hatte uns einen kleinen Kessel dampfenden Eintopfes gebracht, aus dem wir uns wieder selbst bedienen konnten. Als Getränk hatte Tarni einen großen Krug Leichtbier zum Tisch gebracht, aus dem wir uns die Becher füllten. Olthek erzählte uns von seiner Arbeit bei der Stadtwache, während wir aßen. „Ich bin ja nur der Wache beigetreten, damit ich ab und an mal nach draußen kann. Außerdem gibt es nur wenige hier, die mit Garg zurechtkommen. Er ist ein guter Schutz für uns, aber nicht einfach im Umgang. Menschen riecht er schon aus großer Entfernung und macht uns auf sie aufmerksam. Wir sehen dann nach und beruhigen den Bergtroll, wenn keine Gefahr zu erkennen ist. Mit manchen Menschen aus der Gegend treiben wir auch Handel und bedroht haben die uns bisher auch nicht. Garg versteht so etwas aber nicht. Menschen kann er noch viel weniger leiden als Musik.“, berichtete er lachend. Foret und ich lachten mit ihm.
Der junge Zwerg war mir vom ersten Augenblick an sympathisch gewesen und ich mochte seine Gesellschaft. Ich fasste mir ein Herz und fragte ihn: „Olthek, Ihr scheint mir ein fähiger Zwerg zu sein, in mehrfacher Hinsicht. Hättet Ihr Interesse, Foret und mich auf unseren weiteren Reisen zu begleiten? Wir suchen nach den Siedlungen unserer Zwergenbrüder, um letztendlich ein Rätsel zu lösen.“ Seine Augen strahlten mich an. „Sicher hätte ich darauf Lust. Nur meine Mutter und meine Tante müssten mich für ein solches Vorhaben von meinen bisherigen Pflichten freisprechen. Jemand anders muss mich dann ersetzen, wenn ich weggehen sollte.“ An Thídra gerichtet bekräftigte er seinen Entschluss. „Mutter, habe ich deinen Segen, mich diesen tapferen Khazâd anzuschließen, wo immer uns der Weg hinführen mag? Du kennst mein rastloses Wesen.“ Der blonden Zwergin liefen Tränen über die Wangen, bis sie in ihrem Bartflaum hängen blieben. „Es macht mich etwas traurig, dich gehen zu lassen, aber wenn es dein Wunsch ist, dann geh mit den beiden. Ich habe gehört, worum es ihnen geht. Daril und Foret sind gute und ehrliche Leute. Bei ihnen bis du in guter Gesellschaft. Meine Zustimmung hast du, mein Sohn. Dann müssen wir noch mit deiner Tante sprechen. Callia wird nicht erfreut darüber sein, aber ich glaube an ihre Einsichtigkeit.“, stimmte Thídra der Entscheidung zu. Olthek nickte ihr zu und entgegnete: „Ich werde meinen Dienst heute noch beenden. Zum Abendessen treffen wir uns wieder hier. Bitte bring Tante Callia dazu, herzukommen, schließlich betrifft es auch unsere beiden Besucher.“ Seine Mutter nickte. „Sie wird hier sein, wenn du heute Abend zum Essen kommst.“, versprach sie. „Wir sehen uns dann. Daril. Foret.“, verabschiedete Olthek sich von uns, nachdem er hastig seine Schüssel geleert hatte. Er verließ die Taverne zügig, um seinen Posten wieder zu besetzen.
„Gut.“, wandte ich mich an Thídra, „Ich freue mich ehrlich, dass Olthek gern mit uns kommen möchte. Wenn Eure Schwester ihn freigibt, verspreche ich Euch, dass ich gut auf ihn achten werde, wie auf einen Bruder.“ Foret bestätigte meine Worte mit einem „Aye!“.
„Wir sollten Eure Schwester aufsuchen und dafür sorgen, dass sie mit uns hier zu Abend isst.“, schlug mein Weggefährte vor. Die Wirtin und ich stimmten zu. Nachdem der Tisch abgeräumt und das Geschirr versorgt war, winkten wir Tarni zum Abschied und machten uns auf zum Ratsgebäude.
Kaum standen wir am Fuße der Treppe, trat ein Bediensteter des Rates aus dem Eingang, was man an seiner Kleidung erkannte. „Ich wollte euch gerade aufsuchen, werte Gäste. Gut, dass ihr bereits auf dem Weg hierher wart. Der Stadtrat möchte mit euch sprechen. Alle sieben Räte befinden sich im Ratssaal und erwarten euch. Folgt mir.“, seine Ansprache duldete keinen Widerspruch, also gingen wir drei ihm hinterher. Im Raum hinter dem Thronsaal waren nun alle sieben Stühle am Tisch besetzt, drei weitere standen für uns am anderen Ende, Callia gegenüber, bereit. „Die Besucher sind eingetroffen.“, meldete der Bedienstete und an. Foret und ich verbeugten uns vor den Herrschaften, Thídra nickte ihnen zu. Callia ergriff das Wort: „Nehmt bitte Platz. Ich habe aufgrund eurer Ankunft eine Ratssitzung einberufen. Brondil kennt ihr bereits. Dies sind Singid, Fendur, Kurrd, Jalka und Snark.“ Bei der Erwähnung der Namen nickte sie jeweils in die Richtung der entsprechenden Person, welche dann auch den Blickkontakt zu uns suchte und zur Bestätigung ebenfalls nickte.
Hier muss ich einmal anmerken, dass das Nicken unter Zwergen eher als eine kleinere Form der Verbeugung anzusehen ist und eine Geste des gegenseitigen Respekts darstellt.
„Wir ihr sicher wisst, habe ich euch meine Schwester Thídra zur Seite gestellt, um euch die Stadt zu zeigen und euren Bedürfnissen nachzukommen. Brondil berichtete mir bereits, dass ihr bereits viel für eure Sache in Erfahrung bringen konntet. Bedeutet das, ihr werdet uns bald wieder verlassen?“, Callia wirkte etwas traurig, als sie uns diese Frage stellte. Foret bedeutete mir zu antworten, was ich auch tat. „Ja, das Alles stimmt. Auch Eure Frage kann ich nur mit einem Ja beantworten. Was unsere Mission betrifft, ist unser Ziel etwas klarer geworden. Wir wollen und müssen die anderen Gilden ausfindig machen und eine siebenköpfige Gruppe zusammenstellen, die unser Volk wieder vereint. Die Markierungssäulen sind die Schlüssel dazu und ich wurde dazu bestimmt, die Mission zu leiten. Der Schmiedevater scheint Rätsel sehr zu mögen.“, gab ich der Versammlung ehrlich zu verstehen. Die schwarzhaarige Singid meldete sich zu Wort: „Das ist nobel, Herr Daril. Ich unterstütze Euer Vorhaben gern.“ „Wir stimmen ab.“, warf Callia ein. „Wer dafür ist, der Mission unserer Besucher Hilfe zu leisten, hebt die Hand.“ Alle sieben hoben ihre rechte Hand. „Das wäre einstimmig beschlossen.“, kommentierte Snark. „Sagt mir, welche Vorräte, Ausrüstung und Waffen ihr benötigt, ich lasse die Händler alles für euch zusammentragen.“, bot die rothaarige Jalka an. „Auf dass alle Zwerge wieder zueinander finden!“, rief Kurrd.
Ich freute mich sehr über diese gute Wendung und erhob meine Stimme: „Wir haben bereits jemanden aus eurer Mitte gefunden, der uns auf der weiteren Reise begleiten möchte. Die oberste Ratsherrin muss besagte Person noch von ihren aktuellen pflichten entbinden, soweit ich das weiß. Ich schlage vor, wir treffen uns dazu heute zum Abendessen in der ‚Taverne des Eisenbändigers‘.“ Callia stimmte lächelnd nickend zu. Die anderen Ratsmitglieder wollten ebenfalls zugegen sein.
„Die Ratssitzung ist beendet.“, rief Callia und Aufbruchstimmung machte sich breit. Ich fing Jalka ab und fragte sie: „Können wir jetzt besprechen, was wir für unsere Reise benötigen könnten?“ Sie nickte und begab sich zurück an ihren Platz am Tisch. Ich setzte mich ihr gegenüber. Aus ihrer ledernen Umhängetasche zog sie einen Bogen grobes Papier und ein Schreibgerät. „Bitte sprecht.“ Foret hatte sich bereits neben mich gesetzt. „Etwas unverderblicher Proviant wäre sicher nicht verkehrt. Daril kann zwar gut kochen, aber man findet nicht immer etwas brauchbares zum Kauen.“, begann er. Jalka notierte in sauberer Schrift:
(ablâg – Nahrung).
„Jeder von uns wird zum Schlafen eine Decke benötigen.“, ergänzte ich. Auch das schrieb sie auf.
(bemâb – Decken)
Die Liste durfte nicht zu lang werden, denn wir würden ohne Lasttier reisen. Mehr als zwanzig Kilogramm Marschgepäck wollte ich keinem meiner Mitstreiter zumuten. Wir trugen also nur das Wichtigste zusammen. Jalka versprach uns, alle Dinge bis morgen Mittag bereitzustellen. Sie rollte den Bogen Papier zusammen und verstaute ihr Schreibzeug in der Tasche. „Bis heute Abend.“, verabschiedete sie sich. „Auf dann!“, entgegneten Foret und ich wie aus einem Munde. Er schien mir von dieser Zwergin beeindruckt zu sein. Ich grinste nur in mich hinein.
Bis zum Abend würde es noch etwas dauern und wir hatten noch nicht die gesamte Stadt gesehen. Ich suchte also Thídra auf. „Ist es möglich zu sehen, woher ihr eure Nahrung bezieht? Askgrim berichtete mir von den Kühlkammern, aber ich möchte gern sehen, wo ihr die Pilze und das Gemüse anbaut.“, bat ich sie, worauf sie lächelte und antwortete: „Fendur wird sich freuen, dass Ihr Euch dafür interessiert.“
Wir verließen das Ratsgebäude und hielten uns in Richtung des Aufgangs zur Oberwelt, bogen davor aber links ab und folgten einer schmalen Straße, die leicht anstieg.
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