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09. Zauberhafte Erkenntnisse

Bild von Peter H auf pixabay.com
Blick aus einer natürlichen Höhle hinaus in die Oberwelt

 

Es gab mehrere Haltestellen zwischen der Bibliothek und der Schieferstadt, die meine Fahrt kurz unterbrachen. Ich hatte mein Ziel und wollte schnellstmöglich dorthin.

Die Lore donnerte über die Gleise, ganz ohne Auf und Ab, bremste an den Haltepunkten von selbst und ich musste die Steuerung nur bedienen, um den Waggon weiterfahren zu lassen. Jedes Mal schaute ich mich interessiert um und las den Namen des Haltes.

„Südliche Minen“, „Schmiedegruben“, „Großer Basar“, „Nördliche Minen“, „Feuerflussviertel“, „Pfad des Mets“ und „Oberstadt“ hießen sie grob übersetzt, bis ich in der Schieferstadt ankam.

Der Lore entstiegen stellte ich fest, dass es dunkler wurde, je weiter ich mich von der Haltestelle entfernte. Grünlich schwarz war hier das Gestein, Licht glomm zögerlich aus kristallinen Adern. Meine Augen gewöhnten sich langsam daran und bald konnte ich wieder alles erkennen, aber die Sichtweite war nicht sehr groß. Grob gehauene Stufen führten abwärts in die dunkle Höhlenlandschaft. Ich folgte ihnen bereitwillig in die Tiefen.

Zersplittert lagen Schieferplatten auf den Wegen, die die Zeit aus ihrem Gefüge gelöst haben musste. Einige Stücke glitzerten wie unzählige Sterne in der spärlichen Beleuchtung. Der Gang vor mir erweiterte sich zu einer Art Saal, in dessen Zentrum eine gigantische Säule aufragte, die aus dem Boden wuchs und mit Sicherheit bis an die Höhlendecke reichte. Grünes Leuchten aus unzähligen Kristalladern drangen aus ihr heraus und verliehen der Umgebung eine Atmosphäre, die sich anfühlte, als würde ich mich unter Wasser befinden. Ein weiteres Mal war ich einfach überwältigt von meinen Eindrücken. Tränen drückten aus meinen Augen, so sehr berührte mich der grandiose Anblick. Ich atmete tief durch, streckte mich und hielt nach Hinweisen Ausschau. Tatsächlich war jede Seite der quadratischen Säule mit Runen versehen, die Einiges zu berichten wussten.

 

„Der Lebensfunke der Steinernen wurde hier entfacht, wo der Berg am tiefsten ist.“

„Das Feuer fließt unter dem Stein ungehemmt, verbrennt euch nicht!“

„Das Wasser kühlt die Raserei. Mit dem Feuer vereint, entsteht ein neuer Stein.“

„Im Gleichgewicht der Elemente liegt das Leben, das seine Natur begreift.“

Die Lebensgrundsätze meines Volkes.

 

Beim Ertasten der eingeritzten Zeichen glühten diese leicht auf, als würde ich ihnen neues Leben einhauchen. Es war immer noch so erhebend, dass mir das Herz vor Aufregung zu explodieren drohte, so nah ging es mir. Jede Mahnung zur Ruhe, jedes Durchatmen half nichts. Ich wandte mich von der Säule ab, setzte meinen Weg fort, ohne zu wissen, wohin ich ging, ließ das Monument sichtlich aufgewühlt hinter mir.

Verirren konnte ich mich nicht, denn der Weg war ein Stollen, der durch den brüchigen Stein getrieben worden war. Langsam kam ich dann doch wieder zur Ruhe, das Erlebnis hallt aber auch heute noch tief in mir nach.

Der Stollen führte in eine weitere Höhle, die mittig einen runden Platz aufwies, von dem Zugänge in mehrere Behausungen abgingen. Im Zentrum des Platzes glühte es rötlich und Magma blubberte hervor, das von einer Rinne in eines der Häuser abgeleitet wurde. Das Ziel der Rinne war eine kleine Werkstatt mit einem Amboss. Wie hätte es auch anders sein sollen? Das Haus daneben hatte einen ungewöhnlich breiten Eingang, durch den sicherlich vier Zwerge nebeneinander durchgepasst hätten. Im Inneren fand ich steinerne Tröge, die mit Erde befüllt waren, auf der Pilze wild wuchsen. Einige davon packte ich mir für eine spätere Mahlzeit ein. Danach ging ich eine Tür weiter.

In diesem Raum plätscherte munter Wasser aus dem Stein in ein Becken mit Abfluss. Zwei metallene Eimer standen neben der Pforte, wovon ich mir einen nahm und Wasser hinlaufen ließ. Auch meine Trinkflasche füllte ich auf.

Den Eimer trug ich in die Werkstatt. Eine Giesserkelle nahm ich mir von dem Metallring voller Werkzeuge, der an einer Kette von der Decke hing. Mit der Kelle schöpfte ich etwas Magma aus der Rinne und goss es in den Wassereimer. Es zischte laut und brodelte kurz. Das Wasser im Eimer war komplett verdampft und nun lag ein Klumpen Gestein darin. Mit einer Zange entnahm ich ihn, zog den Hammer aus meinem Gürtel und bearbeitete den Brocken. Erst klopfte ich zögerlich darauf, dann mit mehr Enthusiasmus. Als es soweit abgekühlt war, dass es sich nicht mehr bearbeiten ließ, gab ich es mit der Zange wieder in die Hitze des Magmas, bis das Metall wieder weich geworden war, dann bearbeitete ich es weiter. Es blieb nicht sehr viel Metall übrig, nachdem ich die Verunreinigungen herausgetrieben hatte. Ich entschied mich, daraus eine Gürtelschnalle zu machen, dafür würde es genügen. Mit vielen gezielten Hammerschlägen und mehrfachem Erhitzen formte ich eine ovale Metallplatte mit einem Dorn, die gut in meine Hand passen sollte. Ein Muster würde ich zu einem späteren Zeitpunkt eingravieren.

Ich war mit meiner Arbeit zufrieden, löschte meinen aufgekommenen Durst mit einem Schluck aus der Quelle, wobei ich bemerkte, dass ich mich mit allem, was ich in der Zwischenzeit getan hatte, intuitiv an die zwergischen Grundsätze gehalten hatte.

Und ja, ich verspürte auch wieder Hunger. Ich nahm mir noch einige Pilze. In der Werkstatt fand ich eine Art Pfanne, die ich mit einem Tuch unter dem fließenden Wasser reinigte und mit meinem Taschenmesser schnibbelte ich die Fruchtkörper des Myzels hinein. Etwas Schweineschmalz befand sich noch in meinem Proviant, das ich benutzte, um die Pilze mit Hilfe des Magmas zu braten. Dazu musste ich die Pfanne nur in die Nähe der Hitzequelle hinstellen, sonst wäre mir das Essen direkt verbrannt. Es gelang mir, die Pilze ohne große Verluste zu retten, streute noch eine Prise getrockneter Kräuter, die ich auf der Reise gesammelt hatte und trocknen ließ, darüber und genoss draußen auf dem Platz mein kleines Mahl.

Nun war ich eins mit mir und der zwergischen Kultur. Ich hatte unbewusst das „Ritual des steinernen Volkes“ durchgeführt, die vier Sinnsprüche verinnerlicht und befolgt. Als mir das klar wurde, war ich einfach verblüfft und glücklich.

Nachdem ich gesättigt war, ging ich nochmals in die Werkstatt und nahm die halbfertige Schnalle an mich, die ich abschließend nochmals unter fließendem Wasser kühlte, sodass ich sie einstecken konnte. Die Pfanne wusch ich ab und steckte sie in mein Bündel. Auf der Wanderschaft konnte ich sie sicher immer wieder gut brauchen, dachte ich.

Den letzten Eingang des Platzes hatte ich bisher nicht betreten, was ich nun aber tat. Drinnen gab es einen Tisch, der aus dem Stein gehauen war mit einer Sitzgelegenheit davor. Graue Steinplatten, groß wie zwei Hände, lagen darauf, dabei Feinwerkzeug zum Gravieren und zwei gelblich leuchtende Steine an den Ecken. Offensichtlich eine Schreibstube. Die Schrifttafeln besah ich mir näher. Einige waren beschrieben, die meisten aber leer. Ich nahm mir die beschriebenen Tafeln vor, die im Gegensatz zu denen in der Bibliothek nicht magisch waren. Den Text überflog ich und versuchte die Teile in die richtige Reihenfolge zu bringen.

 

„Die Menschen wissen jetzt, wo wir leben. Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis sie darauf kommen, dass bei uns etwas zu holen sei. Die Gier ihrer Mächtigen scheint unersättlich. Schon jagen sie sich gegenseitig, gönnen dem Anderen nicht einmal die Nahrung und das Wasser.

Von Osten her treiben Reiter verzweifelte Menschen vor sich her, berichten unsere Außenposten.

Die meisten Zwerge machen sich bereit, die Heimat zu verlassen, weil sie keinem Menschen begegnen möchten.

Nur einige bleiben noch hier, um unser Wissen zu bewahren, das Vermächtnis der Zwerge zu erhalten mit Hilfe eines unserer tapfersten Söhne.

Daril nimmt die Bürde auf sich, auf unbestimmte Zeit alles Zwergische zu schützen.

Er bereitet sich auf das Ritual vor, eingeschlossen zu werden.

Sobald es abgeschlossen ist, werden wir ihn in Sicherheit bringen, damit er die Zeit unbeschadet überstehen kann.“

 

Es war das Tagebuch des letzten Schreibers von Takal Dûm, das besagt, dass ich ein großes Opfer für mein Volk erbringe. Verblüfft schüttelte ich beim Lesen den Kopf.

Die Gelehrten transferierten mich demnach in dieses Steinei und brachten mich fort.

Aller Wahrscheinlichkeit nach ging es zuerst in das Riesengebirge und später musste ich irgendwie in die Böhmische Schweiz gelangt sein, wo mein Ei dann von den Uberts gefunden wurde.

Takal Dûm wurde aus Angst vor einem Angriff der Menschen aufgegeben, obwohl diese vielleicht gerade einmal die obersten Befestigungen der Stadt erreicht hatten.

Auf lange Sicht hatten die weisen Zwerge wohl aber doch recht, so zu handeln, denn heute scheint es außer mir keine Überlebenden meines Volkes mehr zu geben.

Was in der Folge geschehen war, dem würde ich in Zukunft auf den Grund gehen.

Ich musste schon hart schlucken und tief durchatmen, nachdem ich das alles gelesen hatte, doch wusste ich nun, was damals geschehen war. Das Alles musste mehr als tausend Jahre her sein, doch die Stadt im Berg existiert immer noch und bewahrt ihre uralten Geheimnisse.

Meine Gedanken rissen mich fort aus dem Hier und Jetzt, in eine Zeit, die unruhig war, aber die meisten Leute im Berg besonnenes Handeln an den Tag legten.

 

Es wurden geheime Tunnel angelegt, die nach Westen gerichtet waren. Die besten Schmiede erstellten Waffen für den Erstfall. Die Gelehrten wollten das kulturelle Erbe schützen und erhalten.

Die Stadt glich einem Ameisenhügel. Alle gingen fleißig und strebsam ihrer Aufgabe nach, ohne die Entscheidungen des Rates zu bezweifeln.

Eine kleine Gruppe zog sich für ein besonderes Projekt in die uralte Schieferstadt zurück, um ungestört arbeiten zu können. Dort lebten nur noch wenige Zwerge, da die Wiege unserer Gesellschaft mehr und mehr zu einem spirituellen Ort geworden war. Hierhin ging man, um die Geschichte zu erkunden und Rituale durchzuführen.

Zwerge sind etwas abergläubisch, aber nicht wirklich religiös. Dennoch sind wir uns immer unserer Wurzeln bewusst und ehren den Schmiedevater sowie die Ahnen. Einfach, pragmatisch und robust ist man als Zwerg und geht seinen Weg aus innerer Überzeugung.

Ich wollte meinem Herzen folgen und den Gelehrten behilflich sein, deshalb ging ich mit ihnen in die Schieferstadt. Dass ich die Person sein würde, die dabei im Mittelpunkt stehen würde, realisierte ich erst im letzten Moment des „Rituals des steinernen Volkes“, als ich mein letztes Mahl beendet hatte. Kurz darauf schlief ich ein und träumte unendliche Träume, bis ich vor wenigen Jahren die Hülle des Steineis durchbrach.

Lebendige Erinnerungen durchfluteten meinen Kopf. Nie vorher war ich mir mehr bewusst, wer und was ich war als in diesem Augenblick, der ewig schien.

 

Irgendwann erwachte ich am Arbeitstisch sitzend, die Schrifttafeln vor mir. Mein Geist war klar, ich fühlte mich frisch und erholt. Mein erstes Ziel war erreicht, nun sollte ich das nächste verfolgen. Ich würde die Spur des Zwergenvolkes aufnehmen und ihre Geschichte in Erfahrung bringen!

Mein Gepäck hatte ich schnell zusammengefunden und geschultert, dann machte ich mich auf den Weg zurück zu Hyrasha.

 

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