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04. Im Riesengebirge

 

Die Sonne hatte ihren höchsten Stand gerade überschritten, als ich einem Bauernhof recht nahe kam. Ich entschied mich zu einer Rast und näherte mich zögerlich den Gebäuden. Ein Wohnhaus, aus dessen Schornstein eine Rauchfahne stieg, ein Viehstall und eine große Scheune waren auszumachen, beinah so wie bei den Uberts daheim in Birnai. Ich fühlte, wie ich das alte Leben doch vermisste, obwohl ich mich auf einer mir selbst gewählten Reise befand.

Ein Traktor war auf dem Hof zwischen den Gebäuden abgestellt. Es roch nach Schweinen und auch nach frischem Stroh, gekochten Kartoffeln und Rüben. Ein Fenster des Wohnhauses stand offen und Dampf zog hinaus. Offensichtlich die Küche. Mein Magen knurrte laut.

Ich fasste mir ein Herz und klopfte zaghaft an die Tür. Nichts tat sich. Beim zweiten Mal klopfte ich kräftiger. “Wer da?”, schallte mir eine Frauenstimme aus dem Fenster entgegen. “Ein müder Wanderer klopft an eure Tür, gute Frau!”, antwortete mit kräftiger Stimme. Sie entgegnete: “Ich komm gleich an die Tür. Setzen sie sich ruhig auf die Bank.” Das tat ich und kletterte auf die einfache Bank, die vor dem Küchenfenster stand. Ein wackeliger Tisch mit einem Blumenkranz darauf befand sich davor. Meine Sachen legte ich ab und machte es mir bequem.

“Jesus und Maria …!” Die erschrockene Stimme der älteren Bäuerin ließ mich zusammenzucken. Sie starrte mich mit großen Augen an und schnappte nach Luft. “Ein Kleinwüchsiger … Das hab ich nicht erwartet.” Langsam schien sie sich zu sammeln und schaute mich immer noch zögernd an. “Guten Tag, liebe Frau. Danke, dass ich hier rasten darf. Mein Name ist Daril und ich befinde mich auf einer Wanderreise.” Mein Lächeln schien ihren Schrecken aufzulösen und sie nickte mir zu. “Sie sind nicht größer als ein Kind und haben eine solch tiefe Stimme. Das hatte mich sehr verwirrt. Von kleinwüchsigen Menschen hatte ich gehört, aber noch nie einen gesehen. Entschuldigung.” Ich nickte und lächelte sie weiterhin an, das schien zu wirken.

“Gerade ist das Essen fertig geworden. Gestampfte Kartoffeln und Bratwurst hab ich gemacht. mein Mann wird hungrig sein, wenn er vom Feld kommt. Für Sie wird es auch noch langen, wenn Sie mögen, ich lade sie ein.”, sprach sie eilig. “Lieben Dank, das nehme ich gern an.”, war meine Antwort. Sie huschte zurück ins Haus und klapperte drinnen mit dem Geschirr.

Neugierig blickend kam eine grau getigerte Katze aus der Scheune und lief in meine Richtung. Sie trug eine dicke Maus im Maul und schnurrte, als sie mich erreichte. Die tote Maus legte sie ab und verspeiste diese kurzerhand. “He, du Mäusefänger, das hast du aber gut gemacht.”, lobte ich das hübsche Tier.

Die Bäuerin hörte ich aus der Küche rufen: “Ich bin gleich wieder draußen. Das Wetter ist so schön, da können wir auf dem Hof essen.” Wie auf Geheiß machte ich den Tisch frei, räumte meinen Stock und mein Bündel auf die Seite. Dann stand ich auf und ging zur Wasserpumpe, die sich rechts von mir befand. Zwei-, dreimal musste ich pumpen, eh das Wasser floss und ich mich erfrischen und waschen konnte. Ich schüttelte mich des kalten Nasses wegen. Es tat so gut!

Die Bäuerin kam, stellte drei Teller auf den Tisch, dazu legte sie auch passend das Besteck bereit, dann ging sie wieder. Ich nutzte die Gelegenheit und verteilte das Geschirr auf drei Plätze.

Gerade als sie wieder in der Tür erschien, mit einem Topf in den Händen, hörte ich das Hufgetrappel eines Pferdes. Der Bauer kam vom Feld heim. Ein kräftiger älterer Mann, das Gesicht von der Sonne gebräunt, mit braunem Haar, in einer grauen Arbeitshose und einem schäbigen Hemd gekleidet, lief neben dem Pferd, das einen Pflug zog. Sie hielten an. Er zäumte das Lasttier ab und führte es in die Scheune. Als er wieder herauskam, hielt er auf die Wasserpumpe zu, winkte dabei seiner Frau entgegen und rief freudig: “Agathe, da komme ich ja gerade recht, meine Liebe!” Er wusch sich kurz, dann wandte er sich seiner Frau nochmals zu. “Nach dem Essen noch die Schweine ausmisten, dann soll’s gut sein für heute.” Gerade als er seiner Frau einen Kuss auf die Wange drückte, fiel sein Blick auf mich. Er stutzte, blickte ein weiteres Mal in meine Richtung. “Oh, wir haben einen Gast, Agathe. Guten Tag, ich heiße August. Wie ich sehe, hat meine Frau bereits für drei eingedeckt. Was führt Sie zu uns?” Er sah nur wenig überrascht aus und war offen freundlich zu mir.

Ich richtete mich auf, reichte ihm die Hand und stellte mich vor: “Mein Name ist Daril und ich bin auf einer Wanderreise in das Riesengebirge. Ihre Frau war so freundlich und ließ mich hier rasten. Sie lud mich gar zum Essen ein. Dafür bin ich sehr dankbar. Wenn ich im Gegenzug etwas für Sie tun kann, mache ich das gern.” Er lächelte und bedeutete mir Platz zu nehmen. Agathe brachte einen Stuhl, auf dem der Bauer Platz nahm. “Lass uns erst einmal stärken, dann sehen wir weiter. Ob ich etwas zu tun habe für einen kleinen Wicht, weiß ich noch nicht.” Die Bäuerin setzte sich mit einem weiteren Stuhl, den sie aus dem Haus geholt hatte, zu uns und faltete die Hände zum Tischgebet. Ihr Mann tat es ihr gleich.

Nach dem “Amen.” durfte sich jeder aus dem Topf am Püree und von der Pfanne mit den Würsten bedienen. Oh, das duftete so gut und schmeckte mir sehr lecker. Die Freude darüber schien man mir auch anzusehen, denn beide grinsten mich förmlich an. Doch wir nahmen das Mahl schweigend zu uns. Nur ein Rest der Stampfkartoffeln blieb über. Ich half der Frau, alles wieder in die Küche zu bringen und nahm dabei drei Trinkbecher mit hinaus. Diese füllten wir mit Wasser, um, den Durst zu löschen.

“Dann erzähl mal, Daril. Was sind deine Talente?”, fragte August recht offensiv, aber immer noch freundlich. “Ich kann schmieden und Werkzeuge reparieren. Zu Hause lebte ich auch auf einem Bauernhof und half, wo ich nur konnte. Vor einiger Zeit packte mich die Reiselust und ich ziehe seitdem zu Fuß durch die Lande.”, erzählte ich ihm bereitwillig. “Dann bist du ja zu gebrauchen, Kerlchen. Mein Pflug muss geflickt werden.” Meinte er. Mir war schon aufgefallen, dass er auf das vertraulichere Du geschwenkt war. Ich blieb bei der höflich distanzierten Anrede. “Sieht wohl so aus, als könnte ich das. Gut. Wissen Sie möglicherweise etwas über Rübezahl zu erzählen? Daran hätte ich meine Freude.”, entgegnete ich. “Ja, über diesen Geist kennen wir hier Geschichten. Heute Abend nach der Arbeit haben wir Zeit dafür.”, war seine Antwort.

Wir tranken die Becher leer und jeder begab sich an sein Werk. August kümmerte sich um die Schweine, Agathe ging nach dem Abwasch die Kühe melken und ich schaute mir den Pflug an.

Eine der Pflugscharen war gerissen und eine Traverse gebrochen. Das Ackergerät war schlecht behandelt worden, aber es schien auch recht alt zu sein. Ich lief zum Bauern und fragte ihn nach einer Möglichkeit, meine Arbeit zu verrichten. In der Scheune würde ich eine Feldschmiede und Kohlen finden, meinte er. Ich fand sie, auch einen brauchbaren Amboss und baute die Gerätschaften auf dem Hof auf. Das Feuer wurde entfacht und die Kohlen zum Glühen gebracht. Die beschädigten Teile baute ich unter Mühen ab, da sie festgerostet waren, doch es gelang mir schließlich. Als erstes widmete ich mich dem gerissenen Schneidblatt, das war einfacher. Mir tat die gewohnte, geliebte Arbeit mit dem Metall richtig gut und ich ließ den Hammer klingen, pfiff mein Lied und fühlte mich wohl dabei.

Als es begann zu dämmern, war der Pflug wieder zusammengebaut. Das Bauernpaar lud mich zum Essen in ihr Haus ein, was ich nach gründlicher Reinigung auch betrat. Eine Brotzeit war bereits angerichtet und Bier stand auf dem Tisch. Ich glaubte zu träumen. Brot und Wurst schmeckten einfach köstlich. Das Bier war süffig.

"Du fragtest heute Mittag nach Rübezahl.", begann August das Gespräch, "Also möchte ich dir erzählen, was ich von ihm weiß. Er ist der Schutzgeist des Riesengebirges, die Tschechen nennen ihn Krakonoš, ähnlich wie auch das Land dort. Mit uns Menschen springt er recht ruppig um, nie ist ihm etwas recht. Zu seinem Namen kam er durch eine adlige Jungfer, die ihn auf einem Feld die Rüben zählen ließ. Da der Bergschrat sich immer wieder verzählte, konnte das Mädchen ihm entwischen und sie musste nicht seine Frau werden. Seitdem will er von Menschen nichts mehr wissen. Sollte sich dennoch jemand in seine Nähe wagen, wird Rübezahl seinen Zorn spüren lassen." "Oh, ein alter Einsiedler also mit mürrischem Gemüt.", entgegnete ich. "Bisher kannte ich nur seinen Namen, doch seine Geschichte scheint eine große zu sein. Vielen Dank für Eure Erklärung." Ich trank genüsslich den Bierkrug leer. "Wo darf ich schlafen? Der Tag war doch nicht ohne Anstrengung und das Bier steigt mir etwas zu Kopfe." Agathe wies mir, mich in der Stube neben den Kamin auf einen Strohsack zu legen, dazu überließ sie mir eine kuschelige Strickdecke. Schnell schlief ich ein.

 

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