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02. Reisen durch Deutschland

Waldwanderung
Waldwanderung

 

1939. Der Beginn der Hölle auf Erden. Schlimmer als alle bisherigen, von Menschen verursachten, Gräuel.

Das Deutsche Reich machte sich breit, nahm sich die gesamte Tschechoslowakische Republik und machte aus ihr das “Protektorat Böhmen und Mähren”, die Slowakei wurde zu einer Art Vasallenstaat. Aber Schutz fanden hier nur “reichstreue” Denunzianten. Jeder, der gegen Hitlers Schergen den Mund aufmachte, bekam es dreifach zurückgezahlt. Tschechen, Juden, Menschenrechtler, Behinderte und andere, die den Nazis “lästig” waren, wurden aufgespürt und fortgebracht. Was mit ihnen geschah, erfuhren viele erst weitaus später. Eine grausame Zeit.

Mein Freund Erik wurde einundzwanzig, er sollte in die Wehrmacht eintreten, um seinen “Dienst für das Reich” zu leisten. Tagelang lag Traurigkeit über Haus und Hof. Wegzurennen war sinnlos, weil alles und jeder kontrolliert wurde. Die Familie fügte sich ihrem Schicksal.

Ich blieb bei ihnen, versuchte ihnen in ihrer Ohnmacht beizustehen, meinen Beitrag zu leisten. Es tat mir sehr weh zu sehen, wie die Fröhlichkeit einer permanenten Angst wich.

Doch auch dieses Leben musste irgendwie weitergehen und funktionieren, also wurden die Felder bestellt, die Tiere versorgt und alles am Laufen gehalten für uns, bald fünf Leute, auf dem Hof. Hilde war schwanger geworden, ein kleiner Lichtblick.

Ich versorgte mit Hilde gemeinsam den Hof und das Haus, Josef kümmerte sich mit Erik, bis dieser gehen musste, um die Feldarbeit. Wie sollte das nur zu schaffen sein, wenn der Junge nicht mehr hier sein konnte? Einige Burschen aus dem Dorf sollten für Josef arbeiten und sich ein paar Kronen damit verdienen oder Lebensmittel für ihre Familien mit heim nehmen können.

Aus der Stadt besorgte Erik mir ein paar Bücher aus der Bibliothek, damit ich meine Forschungen fortführen konnte. Im Geheimen schmiedete ich einen Plan.

Im Sommer wurde er zum Wehrdienst einberufen, kam noch einmal auf Heimaturlaub in seiner olivgrünen Uniform der Kavallerie. Den Wallach sollte er danach mit zum Dienst nehmen. Unter diesen Umständen verriet ich der Familie mein Vorhaben. Ich wollte mit Erik kommen, weil er bereits einen Marschbefehl erhalten hatte, der ihn und seine Einheit nach Schlesien bringen würde. Also wollte ich mich im Gepäck verstecken. Wegen meiner geringen Größe sah ich da keine Schwierigkeit.

Erik und das Pferd wurden gegen Ende August mit einem Lastwagen abgeholt. Ich war dabei, in der Truhe aus der Werkstatt. Die hatte ich bis dahin als Reisetruhe hergerichtet. Ich stattete sie mit einem doppelten Boden aus, der mir ausreichend Platz ließ, mich halbwegs bequem auf einem dünnen Strohsack  hinzulegen. Luft bekam ich genug, konnte mich zur Not aber auch konzentrieren und mich augenscheinlich tot stellen. “Zwergische Versteinerung” nannte ich das, weil mir von Menschen Ähnliches nicht bekannt war. Erik hatte mir erzählt, dass ich dabei aussehen würde, wie eine Statue aus Granit.

Also ging meine Reise los und mit ihr die Vorbereitungen zum Krieg der Deutschen gegen die Welt.

Bis nach Aussig war es nicht sehr weit. Dort ging es mit dem Zug weiter. Am Bahnhof war richtig viel los, ein einziges Stimmengewirr. Erik sprach mit jemanden, der seine Papiere verlangte. Etwas patschte kurz oben auf die Truhe.

Marschmusik spielte, „Heil Hitler“-Rufe gellten durch die Halle und auf den Bahnsteigen. Die Truhe mit mir darin und das Pferd wurden verladen. Etwas ruppig wurde ich dabei hin und her geschüttelt, bis wieder Ruhe einkehrte und ich nur noch die Musik und die vielen lauten Stimmen hören konnte. Hin und wieder schienen weitere Gepäckstücke in den Waggon gepackt zu werden. Ich blieb entspannt, konzentrierte mich auf meine Atmung und verfiel in die Versteinerung.

Irgendwann musste der Zug sich in Bewegung gesetzt haben, denn als ich irgendwann wieder aufwachte hörte und spürte ich die Regelmäßigkeit der Bewegung auf den Schienen. Das war nicht neu für mich, obwohl ich zum ersten Mal in meinem Leben in einem Zug mitfuhr. Es fühlte sich beruhigend bekannt an.

Irgendwann stoppte der Zug. Wieder viele Stimmen, geschäftiges Treiben und das Trappeln vieler Pferdehufe. Die Waggons wurden leergeräumt. Meine Truhe musste auf einen Wagen gepackt worden sein, denn es ruckelte nicht zu doll. Als wir anhielten Fragte eine junge männliche Stimme: „Herr Unteroffizier Erik Ubert? Ihre Reisetruhe. Ihr Pferd können sie draußen in Empfang nehmen.“ „Danke, Obergefreiter. Sie können wegtreten.“, hörte ich die bekannte Stimme Eriks. Dann wurde die Truhe mit einem Wagen weitergeschoben, bis wir draußen anlangten. Dort vernahm ich wieder Hufgetrappel. Das mussten wirklich viele Pferde sein.

Ich hörte Erik deutlich reden: „Heil Hitler, Herr Stabswachtmeister! Unteroffizier Erik Ubert meldet sich zur Stelle!“ „Ubert, Ubert … hier. Begeben Sie sich mit Ihrem Gepäck zum Lastkraftwagen mit der Nummer vier. Danach holen sie Ihr Pferd beim Hufbeschlagmeister Kranz ab. Sie finden ihn 30 in diese Richtung.“, Antwortete eine lispelnde männliche Stimme. „Zu Befehl, Herr Stabswachtmeister!“, antwortete Erik zackig und setzte seinen nun holprigen Weg fort. Die Reisetruhe wurde abermals verladen.

Nebenbei hörte ich ein Gespräch zweier Soldaten mit, die den Wagen beluden. „Karl, das wird aber eine große Truppenübung. Da kommen ja Verbände aus dem gesamten Reich zusammen. Was für eine Leistung!“ begann der erste erstaunt. „Das ist schon eine riesige Sache, wo wir hier dabei sind, Georg. Zeigen wir mal, was wir gelernt haben in der Ausbildung.“ Sonst unterhielten sich die beiden nur hin und wieder mal, denn sie hatten ja gut zu tun mit all dem Gepäck der Soldaten. Irgendwann setzte sich das Fahrzeug in Bewegung.

Über Kopfsteinpflaster ging die Fahrt holprig voran, später schienen wir querfeldein zu fahren. Endlich hielt der Lastwagen an. Es dauerte einige Zeit, bis jemand an meiner Truhe zerrte, um sie auszuladen. Dann trug man sie ein Stück weit und setzte sie ab.

Wieder emsiges Treiben überall. Wiehernde Pferde, laute Befehle, Waffengeklirr waren zu vernehmen. Das musste ein Militärlager oder Ähnliches gewesen sein.

Einige Zeit verstrich, ehe eine bekannte Stimme zu hören war. “Heda, Gefreite, bringt meine Truhe dort mit.” Es war Erik. Wieder wurde die Reisetruhe angehoben und getragen. Nicht sehr weit, doch ungeschickt. Ich musste mich mit Armen und Beinen in meinem Versteck verkeilen, um nicht ins Rutschen zu geraten. Doch plötzlich sackte meine Kopfseite nach unten. Ich gab keinen Mucks von mir. “Passt mir mit der Truhe auf, die ist ein Erbstück!”, hörte ich Erik rufen. Wieder angehoben ging es weiter, bis wir wieder abgestellt wurden. “Danke, ihr könnt gehen.”, sagte Erik, dann seufzte er laut. “Daril, bist du da? Geht es dir gut?”, fragte er flüsternd. “Ja, alles in Ordnung. Kann ich rauskommen?”, entgegnete ich leise. “Ja, wir sind allein.”, antwortete er. Das Schloss der Truhe klackte auf, der Deckel schlug knarzend hoch und Erik räumte die Sachen aus. Dann öffnete ich von innen den doppelten Boden und setzte mich erst einmal hin. Das tat gut. Erst dann merkte ich, wie doch die Glieder steif geworden waren. Langsam entstieg ich der Truhe, streckte mich und sah den jungen Unteroffizier an. In Felduniform stand er vor mir und lächelte mit seinen grün-grauen Augen auf mich herab. “He, Soldat. Wie ist es dir ergangen?”, sprach ich ihn  an. “Es ist richtig viel los. Wir befinden uns in einem großen Lager der Wehrmacht östlich von Breslau in Schlesien. Wir sollen eine Truppenübung abhalten, hier an der Grenze zu Polen.”, berichtete er mir in leisem, aber aufgeregtem Ton.

“Danke, mein Freund. Was tun wir jetzt? Ich muss weiter nach Osten, du bist hier Soldat.”, teilte ich ihm meine Sorge mit. Erik antwortete: “Ich würde abwarten. Es sind unsichere Zeiten, das wissen wir beide. Von den Kameraden hatte ich erfahren, dass die Lage hier in Europa nicht die beste ist. Lieber ausharren und einen günstigen Moment abwarten, um weiterzukommen.”

So suchte ich meine Sachen zusammen. Auch das Juwel hatte ich nicht daheim gelassen, sondern in einen Lederbeutel gesteckt. Eine Handaxt hatte ich dabei, die war für allerlei nützlich, ein Feuerzeug mit Benzin, Schnur und einigen nützlichen Kleinkram.

Ich schnürte mir ein Bündel und verstaute alles so, dass es Platz fand, die Axt gut zu erreichen war und ich es mir auf den Rücken schnallen konnte. Für das Nötigste war jetzt gesorgt. “Ach Erik, wie lange waren wir unterwegs von Birnai bis hierher? Ich habe wohl Einiges nicht mitbekommen.”, wollte ich wissen. “Beinahe zwei ganze Tage mit Zug und Lastwagen. Für die Pferde wurde hier eine Koppel angelegt, wo Jirka untergebracht ist. Ich werde mir dieses Zelt mit drei weiteren Männern teilen müssen. Für dich finde ich sicher ein neues Versteck.”, schlug er vor.

‘Neue Lage, neues Glück.’, dachte ich so bei mir und sagte: ”Gut, dann muss ich bis dahin wieder in die Truhe. Wir werden hier wohl bald Besuch bekommen und der sollte mich nicht zu Gesicht bekommen.” Also stellten wir die Reisetruhe an ihren festen Platz und ich begab mich wieder hinein. Gerade als Erik die letzten Dinge hinein legte, kamen zwei neue Stimmen in unsere Richtung. Der Deckel schlug leise zu.

„Heil, Kamerad!“, rief eine der Stimmen durch das Zelt. „Guten Tag, Kameraden. Unteroffizier Erik Ubert.“, stellte er sich vor. „Michael Bannert, Wachmann. Der andere ist Ludwig Peters, Unterwachmann. Schöne Truhe, Uffz. Ubert. Wertsachen?“ „Nicht wirklich, nur Zaumzeug für mein Pferd, etwas Werkzeug und Kleinigkeiten. Aber die Truhe selbst ist ein Erbstück der Familie. Gut und gerne achtzig Jahre alt.“, entgegnete Erik ruhig. „Dann bereit machen für die Ansprache, in …“, Wachmann Bannert ließ eine Taschenuhr aufklappen, „ … 20 Minuten geht es los, also hopp hopp!“ Die drei Unteroffiziere zogen sich an und überprüften den Sitz ihrer Uniformen, dann verließen sie gemeinsam das Zelt.

Ich saß wieder in der Truhe fest und konnte nichts tun, außer auf die Dunkelheit warten. In diesem Moment wäre ich lieber irgendwo anders als in dieser Truhe gewesen. Mein Plan kam mir im Nachhinein dann doch etwas einfältig vor. Aber was hätte ich denn schon anderes tun können, um weiter nach Osten voranzukommen? Die Möglichkeit vorerst nach Süden, in das Riesengebirge, auszuweichen, lag nahe. Ich schrieb einen kurzen Brief, den ich Erik in der Truhe hinterlassen wollte und dann harrte ich aus bis zur Nacht, um das Lager heimlich verlassen zu können.

Einige Zeit später näherten sich wieder Stimmen dem Zelt. Ich verriegelte die Truhe von innen und verhielt mich so leise möglich. Schritte kamen noch näher - jetzt definitiv im Zelt. Auf dem Erdboden des Zeltes konnte ich die sie nur dumpf wahrnehmen, war mir aber sicher, sie bewegten sich auf die Truhe zu.

Plötzlich rüttelte es an meinem Versteck, doch das Schloss hielt stand.

„Mist, abgeschlossen.“, hörte ich jemanden fluchen. „Was soll das? Das ist meine Truhe, Plankwitz!“, tönte Eriks Stimme laut in meine Richtung. „Ist ja schon gut, ich war neugierig. Bin ja schon weg, Ubert.“, versuchte der andere zu beschwichtigen. „Wenn ich dich nochmal an meinen Sachen erwische, setzt es was. Ich krame ja auch nicht in deinem Gepäck herum.“, mahnte Erik diesen Plankwitz.

Zwei weitere Stimmen und das Stapfen zweier Paar Stiefel kamen näher. „Heil, Kameraden!“, erkannte ich den einen Neuankömmling als Bannert. Erik und Plankwitz grüßten zurück und ansonsten blieben sie wortlos, was immer sie auch taten.

Ich langweilte mich sehr, wo ich doch so voller Tatendrang war, aber nicht losziehen konnte.

Als nachts im Zelt endlich alles ruhig geworden war, wagte ich es, aus der Truhe zu schauen. Ich öffnete das Schloss vorsichtig und lugte durch einen schmalen Schlitz hinaus. Den Brief legte ich flach auf den Truhenboden, damit Erik ihn finden konnte. Ich stieg, so leise ich es vermochte, in die Nacht hinaus, nahm mein gepacktes Bündel und schloss den Deckel wieder ebenso vorsichtig. Die vier Soldaten schliefen schnarchend, ich konnte das Zelt also gefahrlos verlassen. Dennoch wollte ich weiterhin im Schatten bleiben, um möglichst nicht entdeckt zu werden. So knöpfte ich den Eingang gerade weit genug auf, um hinaus zu schlüpfen und schloss ihn direkt wieder.

Scheinwerfer von behelfsmäßig errichteten Wachtürmen leuchteten vom Lager weg. So schlich ich zwischen den Zelten entlang durch das Halbdunkel und musste aufpassen, nicht zu stolpern. Vereinzeltes Lachen war zu hören.

Es war bewölkt, die Sterne nicht sehen. Langsam näherte ich mich dem Rand des Lagers. Einige Bäume standen ein paar hundert Schritt von mir entfernt. Um dorthin zu gelangen ohne entdeckt zu werden, musste ich schnell sein. Diese Strecke schnell zu überwinden würde vermutlich nicht sehr einfach sein. Nicht für einen Zwerg. Erst recht nicht für einen Zwerg mit Gepäck. Ich gab mir einen Ruck, nahm die Beine in die Hand und schaffte es. Sehr zu meiner eigenen Verwunderung.

Keuchend lehnte ich mich gegen einen der Bäume, um wieder zu Atem zu kommen, bevor ich weiter durch die Nacht wanderte.

Querfeldein schlug ich mich durch den Hain, lief durch die Stoppeln gemähter Getreidefelder und über Kartoffeläcker, bis ich an ein Waldstück gelangte, wo ich tagsüber rasten wollte. Der Duft wilder reifer Brombeeren wehte mir bereits entgegen, der von auf die Ernte wartendem Hopfen hielt sich noch in meiner Nase.

‘Ein großer Krug Bier wäre jetzt genau das richtige.’, ging mir durch den Kopf. Der letzte war schon viel zu lange her und der nächste wohl noch lange nicht in Sicht.

Schnell war aus Zweigen und anderen Sachen ein unscheinbarer Unterschlupf gebaut, und gerade, als sich, am bis dahin dunklen Horizont, das erste Orange der Morgendämmerung zeigte, begab ich mich zur Ruhe.

Das Rascheln der Blätter im Wind und die Laute der Tiere kamen mir vertraut vor, ebenso der Duft des Waldbodens, was mich mit der Axt in meiner rechten Hand schnell zufrieden einschlafen ließ. Irgendwann ließ mich das hämmernde Klopfen eines Spechtes aufwachen. Es war noch hell, aber die Sonne neigte sich dem Horizont entgegen. Also stand ich auf, verstreute das Baumaterial meines Lagers und machte mich auf, meinen Weg nach Süden fortzusetzen. Die letzten rötlichen Strahlen zeigten mir noch den Weg. So lief ich wieder durch Wälder und über Äcker, trank an einem plätschernden Bach und wusch mich dort etwas mit dem frischen Wasser. Welch Wohltat nach diesen anstrengenden Tagen.

Meinen Weg verfolgte ich weiter, er stieg zusehends an, was mich keineswegs beeindruckte. Lange Zeit hatte ich mich nicht so frei gefühlt, so ungebunden. Die Natur um mich herum tat mir richtig gut.

Die Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit und ich verlor den Pfad nicht aus dem Blick.

Langsam regte sich Hunger, mein Magen knurrte immerfort. Auf den Äckern, über die ich lief, musste ich doch zu dieser Jahreszeit etwas Essbares finden können, also grub ich mir bei nächster Gelegenheit ein paar Kartoffeln aus, die ich mir in die Hosentaschen stopfte.

Im nächsten Waldgebiet bereite ich mir wieder ein Lager aus dem, was er mir hergab. Äste, Farn und Moos verbaute ich zu einem einigermaßen bequemen Unterschlupf, ein paar Steine legte ich als Begrenzung für ein kleines Feuer im Kreis aus. Mein Bündel zu öffnen erwies sich als schwierig, das hatte ich wohl derart fest zugebunden, dass ich den Knoten nicht lösen konnte. Mit einem Ruck löste er sich dann aber und der gesamte Inhalt verteilte sich auf dem Waldboden. Das Feuerzeug fand ich schnell wieder, das kleine, blank polierte Fläschchen mit dem Benzin musste ich suchen, fand es aber kurz darauf im Moos liegend. Im Halbdunkel jetzt alles zu finden gestaltete sich schwierig, doch der Morgen ließ sicher nicht mehr lange auf sich warten. Ich errichtete die Feuerstelle, um die Kartoffeln dann in der Glut garen zu können. Es musste nicht hell sein, nur heiß. Das Holz war trocken, denn in letzter Zeit hatte es kaum geregnet, das war gut, um ein Feuer zu entzünden, aber ich musste sehr aufpassen, damit nicht mehr in Brand geriet, als es sollte. Mit dem Feuerzeug konnte ich nach einigen Versuchen etwas trockenes Laub entzünden, die kleinen Flammen erreichten schnell die kleinen Holzstücke, die ich dazu legte und das Feuer wuchs an. Es roch wundervoll nach rauchendem Holz, fast wie beim Räuchern leckerer Wurst. Mir lief das Wasser im Munde zusammen, solch Hunger hatte sich mittlerweile entwickelt. Sobald die ersten kleinen Scheite verkohlt waren, schob ich mit der Axt die Kartoffeln in die Glut und legte noch etwas Holz nach.

Die ersten schwachen Sonnenstrahlen brachen sich ihren Weg durch das Blätterdach. Nun wollte ich meine Sachen wieder aufsammeln, die noch verstreut umherlagen. Das Knäuel Schnur, ein Taschenmesser und einige Nägel klaubte ich aus dem Moosteppich, unter einem Farn lag mein Säckchen mit dem Juwel. Ich hatte wirkliches Glück, es wiederzufinden.

Es wurde heller, so konnte ich mich besser umsehen und erkannte Holunderbeeren. Welch Freude, zu den Kartoffeln gab es noch einen Nachtisch. Ich schnitt mir mit der Säge des Taschenmessers einen dünnen Ast von dem kleinen Baum ab und zog diesen bis zum Lagerplatz hinter mir her. Die Beeren trennte ich vorsichtig ab und legte sie neben mich auf das weiche Moos. Den Ast teilte ich in fünf unterschiedlich lange Stücke, die ich aushöhlte. Das Innere dünnen Holunderholzes ist sehr weich, also ließ sich das einfach bewerkstelligen. Dieses Taschenmesser war wirklich ein Wunderding von einem Werkzeug!

Die Holzstücke schnitzte ich zu kleinen Pfeifen und band diese mit der Schnur fest zusammen. Ich hatte mir eine Flöte gebaut, mit der ich zehn Töne erzeugen konnte. Ich versuchte mich direkt an einer Melodie, was schrecklich klang. Etwas Übung sollte ich wohl brauchen, um ihr wahre Musik zu entlocken.

Ich nahm die Axt und holte die Kartoffeln aus der Glut, schob sie an den Rand der Feuerstelle, um sie abkühlen zu lassen. Kurze Zeit später schnitt ich sie auf. Was dufteten die gut! Mit großem Appetit verspeiste ich die vier Kartoffeln und naschte ein paar der Holunderbeeren. Das Feuer ließ ich ganz niederbrennen, bevor ich mich gesättigt in den Unterschlupf für ein Verdauungsschläfchen begab. Die Axt wieder nah an meiner Seite schlief ich lächelnd ein.

Wie ein Stein musste ich geschlafen haben, kein Vogel hatte meine Ruhe gestört, bis ich von allein erwachte. Noch strahlte die Sonne über dem Blätterdach des Waldes, einzelne Strahlen erreichten den bemoosten Boden. Das Versteck nahm ich auseinander, verteilte all seine Bestandteile, damit niemand Rückschlüsse hätte ziehen können. Das Lagerfeuer zerstörte ich ebenfalls, die Steine warf ich wahllos in alle Richtungen.

Meine Verdauung machte sich bemerkbar. Holunderbeeren sollte man nicht roh essen, das tut nicht gut. Zum Glück war ich allein und verrichtete ungestört das Nötige.

Als Frühstück nahm ich noch eine übrig gebliebene Kartoffel zu mir, danach verschnürte ich das Bündel wieder sorgfältig, um nichts zu verlieren. Die Axt steckte ich in eine Schlaufe an meiner Lederschürze. Dann war ich wieder reisebereit und setzte meinen Weg in Richtung Süden fort.

Der Wald zog sich sich meilenweit. Mit meinen kurzen Beinen kam ich nicht sehr schnell voran, aber ich genoss die Abgeschiedenheit und die Düfte, die mir entgegen zogen. Pilze? Wenn mich meine Sinne nicht täuschten, roch ich Pilze. Mit den Augen suchte ich wachsam den Waldboden ab, folgte dem feinen Geruch. Bald darauf entdeckte ich einen Steinpilz, den ich mitnahm, fand Maronen und ein paar Pfifferlinge bis ich beide Arme voll mit Pilzen hatte, dass es für eine ganze Mahlzeit reichte. Doch wie sollte ich sie mir ohne Pfanne zubereiten?

Die Pilze in Blätter einzuwickeln und diese wie zuletzt die Kartoffeln in der Glut eines Feuers garen, erschien mir eine gute Idee. Doch jetzt schon eine Pause einlegen, wo ich doch noch nicht lange unterwegs war? Meine leckere Fracht musste sich doch besser tragen lassen. Einen Korb aus Farnkraut zu flechten, fiel mir ein. Hier im Wald waren schnell einige Farnwedel gefunden und abgeschnitten, dann setzte ich mich in das trockene Laub und verwob die langen Wedel miteinander bis eine Matte erstellt war, die ich an den Ecken zusammen band. Zu guter Letzt gab ich die Pilze hinein. Da ich so noch einige mehr mit mir tragen konnte, sammelte ich auf meinem Weg noch weitere Pilze ein. Das würde ein Festmahl geben!

In der linken Hand mein Bündel, in der rechten den Beutel aus Farnwedeln ging ich frohgemut weiter meines Weges bis ich den Waldrand erreichte. Vor mir lag eine große Wiese, dahinter ein breiter Fluss. Wenn ich weiter nach Süden wollte musste ich ihn überqueren, aber zu schwimmen traute ich mich nicht. In  Ufernähe schlängelte sich ein befestigter Weg an dem Strom entlang, dem ich flussaufwärts folgte. Schon aus weiterer Entfernung war eine Brücke zu sehen, darauf hielt ich zu, bewegte mich aber vorsichtig am Wegesrand. Ein gutes Stück davor verbarg ich mich am Waldrand bis zum Einbruch der Nacht.

Der Strom verzweigte sich und teilte sich in zwei Arme. Über den Flussarm auf meiner Seite führte eine Straße über die Brücke vom Ufer hinüber zur Insel, welche sich so bildete.

Am Wegesrand blieb ich verborgen zwischen den Bäumen im leicht welken Gras sitzen. Einige große dicke Blätter fielen mir auf, die mir bekannt vorkamen, es mochte Sauerampfer oder dergleichen sein. Ich rupfte mir ein Stück davon ab, roch daran und steckte es mir in den Mund zum Kauen. Tatsächlich schmeckte es gut. Damit konnte ich mir die Pilze einwickeln und so zubereiten. Meine Blätter dafür hatte ich hiermit gefunden und steckte mir einige davon zu den Pilzen in den Farnbeutel.

Es dämmerte, der Himmel wechselte seine Farben von gelb zu orangerot bis zu violett und würde schließlich dunkel. Der Abendstern grüßte bereits.

Das war mein Zeichen zum Aufbruch. Schnell den Beutel wieder verschlossen und mein Bündel geschnappt, ging ich am Rand des Weges langsam zur Brücke, die nicht beleuchtet war. Sie war aus Holz und befand augenscheinlich sich in gutem Zustand. Der Fluss zog träge dahin, man hörte kein Plätschern, nur ein leises Rauschen.

Immer noch sehr leise und vorsichtig betrat ich das Bauwerk, um die andere Seite zu erreichen. Das mussten gut hundert Schritt gewesen sein, die ich zu überwinden hatte. Ruhig und bedacht bewegte ich mich an der rechten Seite vorwärts. Mit meinem Gepäck musste ich vorsichtig sein, denn ich wollte nicht den provisorischen Beutel beschädigen und mein nächstes Mahl einbüßen.

Ohne Zwischenfall langte ich am Ende der Brücke an, tat aber gerade hier einen falschen Tritt und rutschte weg, fiel auf den Hintern und ließ Beutel sowie Bündel fallen. Soviel zu meinem Glück. Es schmerzte ein wenig, aber ich konnte mich problemlos wieder aufrappeln und meine Sachen wieder aufheben. Selbst der eigenhändig gefertigte Beutel blieb heil.

‘Nun aber schnell wieder Schutz suchen.’, dachte ich bei mir und verschwand zwischen den nahen Bäumen. Dem Weg, der von der Brücke aus weiter südwärts führte, folgte ich in Sichtweite. Es dauerte nicht sehr lange, bis ich an das gegenüberliegende Ufer der Insel gelangte. Was bot sich mir hier für eine tolle Aussicht! Im Fluss stand eine große Mauer mit einer Schleuse, sicher für den Schiffsverkehr. Ich war beeindruckt und näherte mich weiter, um den Strom darüber zu überqueren. Doch im Bereich vor dem Damm konnte ich keinen Sichtschutz finden, da galt es wieder mutig und schnell zu sein, um nicht entdeckt zu werden. Ich fühlte mich angespannt und machte mich flugs auf den Weg durch das offene Gelände bis hin zum Fluss, stieg auf die Dammmauer und lief darauf auf das andere Ufer zu.

Völlig außer Atem erreichte es und ließ mich einfach ins Gras fallen. Das war zu viel für einen kleinen Zwerg. Japsend richtete ich mich auf, versuchte mich wieder zu beruhigen und mich zu orientieren. Nicht weit entfernt standen Bäume, die mir Schutz bieten konnten und ich ging darauf zu.

 

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