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Weiss sein 2020

Ich bin jetzt knapp über 40 Jahre alt, lebe als gebürtiger Ossi seit 17 Jahren in NRW.

Hatte ich Probleme, mich hier einzufinden, in eine damals neue Umgebung? Nein.

Wurde sich über meine Sprache und Ausdrucksweise lustig gemacht? Ja.

Aufgrund meiner schwarzen Haare und meines im Sommer recht dunklen Teints, wurde ich oft gefragt, ob ich einen Migrationshintergrund hätte. Das verneinte ich. Meine Großeltern waren vertriebene Deutsche aus Böhmen. Ich habe mit Sicherheit auch slawisches Blut in mir.

 

Sehe ich mich als Deutscher?
Es ist meine Nationalität, ja. Aber mir ist es wichtiger Mensch zu sein, als einer Nation anzugehören. Ich könnte ebenso Tscheche, Franzose, Brasilianer oder was auch immer sein. Traditionen und Sprachen zu erhalten empfinde ich als wichtig, um seine eigene Identität zu entwickeln, aber Patriotismus ist meiner Meinung nach antiquiert. Wie kann ich auf Leistungen von Menschen stolz sein, mit denen ich gar nicht wirklich etwas zu tun habe? Wie kann ich auf ein Land stolz sein, das blutige Kriege führte und Menschen industriell tötete?

Wie können so viele Deutsche die eigene Geschichte nur so sehr verklären, dass sie die Schrecken ausblenden und vergessen, die doch so vielen Menschen das Leben kosteten?

Dinge, die mir nicht in den Kopf gehen.

 

Doch was macht das mit mir heute?

Ich wohne auf dem Land. Außer Menschen mit türkischer Herkunft bzw. Abstammung sehe ich Griechen, Italiener, Syrer und vereinzelt Schwarze, deren Herkunft ich meist nicht kenne. In meinem bisherigen Leben hatte ich nur selten mit Farbigen zu tun.

Da war in meinem Heimatort der Senegalese, der mir half, mein Französisch zu verbessern. Er war ein guter Bekannter meines Vaters, ein toller Kerl.

Da ist die schwarze Amerikanerin, die ich durch meine Arbeit kenne. Wenn wir uns treffen, dann unterhalten wir uns kurz auf Englisch, weil ich mich so sehr für Sprachen begeistere. Wir beide wissen diesen Smalltalk zu schätzen.

Das mache ich aber bei jedem, wo ich weiß, das die Muttersprache nicht Deutsch ist. Englisch mag die Weltsprache heute sein, aber die Sprachen dieser Welt sind so vielfältig, so wie ihre Bewohner. Mich bereichert das ungemein, ich lerne viel dadurch.

 

Bin ich als Weisser privilegiert?

Ich erlebe keinen Hass auf mich bezüglich meiner Hautfarbe. Aber ich sehe den Hass gegen Hautfarben, Nationalitäten, Religionen, sexuelle Orientierung meist nur in den Nachrichten, nur sehr selten offen auf der Straße. Ich fühle mich als "Landei" privilegiert, dass ich Rassismus und Feindseligkeiten kaum direkt erlebe.

Auch im täglichen Umgang mit Behörden, Polizei oder einfach nur beim Einkaufen erlebe ich offen keinen Rassismus.

Früher in meiner Heimat war das anders.

Die 1990er in Sachsen-Anhalt waren schon sehr von einer ablehnenden Haltung gegenüber ALLEM Fremden geprägt.
Aus Angst? Aus schlechten Erfahrungen? Oder einfach aus fehlender Selbstreflexion?

Da konnte man die Spannung in der Luft tatsächlich spüren. Zu Beginn der 2000er wohnte ich in Dessau. Der Mord an dem Mosambikaner Alberto Adriano im Jahr 2000 war für mich unverständlich und unnötig, rüttelte mich wach. Leider war das nicht die einzige Tat dieser Art.

Ich schäme für solche Vorkommnisse, Deutscher zu sein. Hass ist keine Lösung, Nationalstolz empfinde ich als dumm.

Versuche ich gegen den Hass zu argumentieren, werde ich dort als Spinner beschimpft.

Ich fühle mich aufgrund meiner Einstellung zum Leben eher von der konservativen und der rechten Ecke diskriminiert, als allgemein im täglichen Leben.

Ja, ich bin weiß. Aufgrund meiner Hautfarbe werde ich hier in Deutschland und in ganz Europa nicht angefeindet oder benachteiligt. Ich kenne keinen Rassismus mich betreffend.

Aber ich sehe Rassismus. In der Ferne, nicht in meinem Umfeld. Aber das genügt mir, um gegen diese Mauern in Köpfen etwas tun zu wollen.

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