DDR-Kind. Oma brachte mich oft mit dem Fahrrad in den Kindergarten, weil sie in der LPG nebenan arbeitete. Sie war herzensgut und meine “Kuscheloma”. Sie starb als ich 5 war auf dem Weg zum Krankenhaus im Auto meiner Eltern. Mein Vater erlebte ihre letzten Atemzüge.
Ich wurde nicht von jedem akzeptiert. Ich war ein Spaßmacher, ein Träumer, ein Kind.
In der Schule hatten es Ältere auf mich abgesehen, den Grund kannte ich nicht. Von ihnen wurde ich mehrfach kopfüber in Mülltonnen gesteckt. Ich konnte mich nicht wehren. Mobbing war damals noch kein Thema. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte.
Dann lief alles besser. Ich blieb der Kleinste in der Klasse, wurde immer dicker, doch Freunde hatte ich - glaube ich. Im Nachhinein kommt mir das alles so oberflächlich vor, weil ich heute kaum noch Kontakt zu meinem früheren Leben habe. Um einige musste ich sogar mehrmals kämpfen.
Als ich 17 war, starb mein Opa. Er war bis dahin mein Halt, mein Lehrer, meine wirkliche Bezugsperson.
Meine Eltern waren immer mit arbeiten beschäftigt, hatten wenig Zeit. Als ich klein war, fuhren wir noch gemeinsam in den Urlaub. Im Teenageralter längst nicht mehr. Sie bezahlten mir Jugendreisen. Die Ausbildung. Autos. Sie finanzierten mein Leben, aber gaben so wenig Wärme und Nähe.
Opa war immer für mich da. Puzzlen, Briefmarken, Fotos, Geschichten erzählen, im Garten arbeiten … Er nahm mich sogar auf die Abschiedsfeier in seine Firma mit, bevor er in Rente ging.
Abends machte er auf dem Hof immer seine letzte Runde vor dem Schlafengehen, ich hörte das immer durch das angeklappte Zimmerfenster, das zum Hof blickte. Eines Abends ging er nicht wieder ins Haus. Am Morgen fand man ihn erhängt im Schweinestall. Ein Abschiedsbrief lag in seinem Wohnzimmer auf dem Tisch. Krankheit machte ihm zu schaffen, der Lebensmut war erloschen. Leere in mir.
Mein Leben ging weiter. Abitur, Bundeswehr, Lehre im elterlichen Betrieb, ein begonnenes Studium ohne Abschluss.
Meine Eltern sagten nichts, finanzierten mich nur, meinen Lebensstil. Auto, eigene Wohnung, Freiheit, Frauen, Parties … aber sie fragten nie nach meinen Gefühlen. Die schrieb ich ja nieder, die wurden gesammelt.
Ja, ich durfte meine Gedichte auch vor Publikum bringen. In der Schule bei Abschlussfeiern, auch meiner eigenen. Durfte Lesungen halten in einem Buchladen. Das tat alles so gut. aber meine Eltern interessierte das nicht.
Bevor ich meine Frau kennen lernte, war ich nur ein Träumer ohne Ziel. Überall angeeckt, selten wahrgenommen.
Als wir einmal zu Weihnachten meine Familie besuchten, wollte mein Vater wohl einen Scherz machen: “Hätte ich gewusst, was aus ihm mal wird, hätte ich gegen einen Baum gewichst. Dann wäre er etwas Nützliches, wie ein Schippenstiel geworden.” DAS verzeihe ich ihm nie!
Meine Arbeit, die ich anfing, nachdem ich meiner Frau in ihre Heimat gefolgt war, tat mir gut. Körperlich und seelisch. Ich konnte innerlich wachsen. Anerkennung von Kunden und Kollegen, weil ich alles tat ohne murren, weil ich fleißig war und ich den Beruf lieben lernte. Jetzt bin ich gut 17 Jahre dabei und vermisse ihn, weil ich nicht arbeiten kann. Die Knochen machen nicht mehr so mit.
Deshalb kam ich wieder zu mir zurück, in mein Innerstes. Schreibe wieder Gedichte, was ich 15 Jahre lang kaum tat. Beteilige mich politisch. Finde Nähe, entdecke mich selbst neu.
Meine Mutti starb 2016 an Krebs. Eine Woche zuvor war ich dort und konnte ihr noch Lebwohl sagen. Ihr Gesicht sehe ich immer noch vor meinem inneren Auge.
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